Jochen Paul studierte Romanistik, Psychologie und Kultur- und Medienmanagement. Bis Ende 1999 war er Redakteur bei der Bauwelt und lebte seitdem in München. 2011-2012 war er Redakteur bei muenchenarchitektur, dann Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für E2A Eckert Architekten in Zürich, anschließend zurück in München und Stuttgart. Er schrieb über Architektur, Ausstellungen und Design für verschiedene Fachzeitschriften und – magazine
Während sich nach München auch die Metropolregion von bezahlbaren Miet- und Bodenpreisen verabschiedet, verabschieden sich die SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorsichtig von ihrer bisherigen Grundstückspolitik: In seltener Übereinstimmung forderten jüngst sowohl Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) als auch die grüne OB-Kandidatin, Sabine Nallinger, städtische Grundstücke verstärkt selbst zu bebauen, anstatt sie meistbietend zu verkaufen. Vorbild dafür ist Wien mit seinen 220.000 städtischen Wohnungen.
An der Königinstraße verabschiedet sich die LMU von ihrer alten Tierklinik: Bis 2016 soll auf dem Standort direkt am Englischen Garten nach Plänen des Berliner Büros kleyer.koblitz.letzel.freivogel.architekten und der Landschaftsarchitekten von sinai der erste Bauabschnitt des neuen Nano-Instituts fertiggestellt sein, Baubeginn ist Anfang 2014.
Last not least verabschiede auch ich mich: Nach über einem Jahr Pendeln steht die Erkenntnis, dass die Isar und die Limmat für die Redaktion von muenchenarchitektur.com auf die Dauer doch etwas zu weit voneinander entfernt sind. München werde trotzdem ich nicht gänzlich abhanden kommen – demnächst mit einer Ausstellung von E2A Eckert Eckert Architekten aus Zürich in der Architekturgalerie...
...sind die Prognosen für die BAU 2013: Wie bereits vor zwei Jahren ist die – heuer um die vier Leitthemen Nachhaltigkeit, Generationengerechtes Bauen, Energie 2.0 und Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert komponierte – Großveranstaltung komplett ausgebucht. Von den 2.060 Ausstellern sind 572 internationale Konzerne, damit kommen insgesamt 27,8% der vertretenen Firmen aus dem Ausland. Ob es dieses Jahr auch die angepeilten 250.000 Besucher werden, steht zwar erst fest, wenn am 19. Januar der offizielle Schlussbericht vorliegt – alles andere wäre für die Messe München als Veranstalter aber eher enttäuschend.
In welche Richtung die Stadtentwicklung Anfang des 21. Jahrhunderts in München tendiert, lässt sich nicht zuletzt aus den Erfolgsmeldungen der Immobilienwirtschaft herauslesen, in denen es vor allem um Premium, Penthouses und Dachterrassen geht. Da tut es gut, wenn jemand einmal die Frage stellt, ob das wirklich alles sein kann, und wem eigentlich die Stadt gehört – wie heute Abend das Münchner Forum mit seiner Veranstaltungsreihe STADTfragen.
Die Frage ist eigentlich längst beantwortet – trotzdem war der Theodor-Fischer-Hörsaal der Technischen Universität zum „StadtBauwelt-Gespräch“ am 22. November bis auf den letzten Platz gefüllt: Dass Zeitschriftenpräsentationen ein attraktives Veranstaltungsformat sein können, hat ARCH+ mit seinen „features“ hinlänglich bewiesen...
In seiner Einleitung zum ersten Auswärtsspiel der 2011 mit „Der Ausverkauf der Stadt“ begonnenen Reihe betonte der stellvertretende Chefredakteur, Kaye Geipel, drei zentrale Aspekte – erstens ist München unter den deutschen Städten Vorreiter in Sachen Dichte: In den letzten zehn Jahren ist die Stadt um 136.000 Einwohner gewachsen, bis 2030 sollen weitere 150.000 dazukommen; zweitens hat das Thema Verdichtung momentan Hochkonjunktur: Parallel zu dem Gespräch in München veranstaltete der BDA Hamburg mit „Dense City – Intense City: Architektur für eine neue urbane Lebensqualität“ ein dreitägiges Symposium; und drittens würde er gerne erfahren, in welche Richtung sich das Leitbild 2012 der Landeshauptstadt seit „kompakt, urban, grün“ (1998) entwickelt hat.
Diese Frage konnten die Diskutanten – in alphabetischer Reihenfolge: Nicola Borgmann (Architekturgalerie München), Florian Fischer (Fischer Multerer Architekten), Rainer Hoffmann (bogevischs buero), Hilde Léon (Léon Wohlhage Wernik), Matthias Ottmann (Südhausbau), Stephan Reiß-Schmidt (Leiter der Hauptabteilung Stadtentwicklungsplanung im Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München), Peter Scheller (Palais Mai) und Verena Schmidt (Teleinternetcafe) – nicht abschließend beantworten.
Zu groß waren die Differenzen auf dem Podium: Während Peter Scheller unter dem plakativen Titel „vom Renthaus zum Penthouse“ über den fortschreitenden Verlust der Münchner Mischung und sozial zunehmend entmischte Quartiere sprach, wies Stephan Reiß-Schmidt auf das Instrument der Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN), die seit ihrer Einführung immerhin rund 8.400 öffentlich geförderte Wohnungen, circa 1.500 Krippen-, 4.700 Kindergarten- und 1.000 Hortplätze schuf, und auf die Studie zur Langfristigen Siedlungsentwicklung (LaSie) hin.
Dieses Argument griff Matthias Ottmann auf, betonte aber, dass sich die „Münchner Mischung“ nicht auf neue Wohngebiete übertragen lasse: Erstens zögen dort kaum Münchner ein, und zweitens greife die SoBoN (zu) weitreichend in die Gestaltung ein, was zu einer „gebäudeweisen Segregation“ führe. Hilde Léon formulierte es nur leicht überspitzt so: „In Neubaugebieten wie der Funkkaserne fungiert der soziale Wohnungsbau zunehmend als Lärmschutzbebauung für die frei finanzierten Wohnungen.“
Den Aspekt der gebäudeweisen Segregation bestätigte Rainer Hoffmann auch für die Innenstadt, wo seit Jahren Mietshäuser im großen Stil in Stockwerkseigentum umgewandelt werden, was zu massiven Verdrängungsprozessen führt.
Demgegenüber betonte Florian Fischer, dass Dichte und Druck sich auch positiv auf die Qualität der Stadt auswirken könnten, und forderte ein Pilotprojekt für Blockrandbebauung in einem der (ehemaligen) Einfamilienhausquartiere – das sei „allemal besser als die Grundstücke volllaufen zu lassen.“
Diesen Gedanken griff Nicola Borgmann mit der Bemerkung auf, im Bereich der zweit- und Drittwohnungen – also zunehmend in der Innenstadt – könne mit Sicherheit dichter gebaut werden als „für Leute, die die ganze zeit in ihren Wohnungen leben müssen.“
Einig war sich das Podium immerhin darüber, dass München dichter werden muss, und die Vorteile der Verdichtung sicht- und erlebbar gemacht werden müssen, um die notwendige Akzeptanz dafür zu schaffen – auch weil, so Hilde Leon, „bestehende Privilegien bis aufs Messer verteidigt werden.“ Diese Erfahrung macht Peter Scheller momentan im Industrie- und Gewerbegebiet um die Paul-Gerhardt-Allee in Pasing: „Aus der Sicht der Anwohner sind die bestehenden Puffs besser als neue Nachbarn.“
Was dagegen unbeantwortet blieb, war die Frage von Matthias Ottmann, warum vom Wettbewerbsentscheid bis zum Baubeginn manchmal zehn Jahre vergehen, und ob man die Zwischenzeit nicht dazu nutzen müsste, zu prüfen, ob die ursprünglich festgelegte Dichte noch zeitgemäß ist – schließlich erlebe München gerade eine rasante Beschleunigung der demographischen Entwicklung: „Wir werden viel schneller viel mehr.“ Wie das trotzdem gehen kann, erklärte Verena Schmidt am Beispiel des Masterplans für das Kreativquartier: Dort arbeitet Teleinternetcafé von Anfang an nicht nur mit unterschiedlichen Dichten, sondern auch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Zeitfenstern der Entwicklung.
Das positive Schlusswort blieb Stephan Reiß-Schmidt vorbehalten: Immerhin ist München seit Jahren unangefochten Deutschlands am wenigsten segregierte Großstadt.
Zweiundzwanzig Modelle. Zweiundzwanzig Monitore. Zweiundzwanzig Einblicke in zweiundzwanzig individuelle Wohnhäuser in der Fünf-Seen-Region.
Der programmatische Untertitel – „Zweiundzwanzig Modelle. Zweiundzwanzig Monitore. Zweiundzwanzig Einblicke in zweiundzwanzig individuelle Wohnhäuser in der Fünf-Seen-Region“ – bringt auf den Punkt, worum es in der Ausstellung geht: Im Hauptraum sind einzig freistehende Wohnhäuser des 1998 in Greifenberg am Ammersee gegründeten Architekturbüros zu sehen, die in den letzten zehn Jahren in der Gegend zwischen Ammer-, Pilsen-, Starnberger, Wesslinger und Wörthsee entstanden sind.
Die Präsentation beschränkt sich dabei auf von Felix Bembés Vater Thilo gebaute Arbeitsmodelle aus Karton im Maßstab 1:50, die für die Ausstellung weiß gesprayt und auf Sockel gestellt wurden, die aus einer quadratischen Grundplatte und drei Rundstäben aus Schwarzstahl bestehen, auf in die Längswand eingelassene Flachbildschirme, die als digitale Bilderrahmen fungieren – und auf fünf Rechner zu ihrer Steuerung.
Die reduzierte Ausstellungsgestaltung rückt die Gebäude selbst in den Mittelpunkt: Scheinbar arbiträr im Raum verteilt, sind sie ebenso wie die Monitore so aufgestellt, dass ihre Position ihrem jeweiligen Standort einer Karte des Fünf-Seen-Lands entspricht, die Bembé Dellinger in Grausilber auf die weiße Wand appliziert haben.
Mittlerweile reicht das Spektrum der Häuser vom bescheidenen, ursprünglich für die Großtante errichteten Atelierhaus am Ammersee (Heft xy/2003) über das Wochenend-Jagdhaus im Allgäu (2009) für den Vorstand eines Münchner Versicherungskonzerns bis zum großzügigen Büro- und Wohnhaus in Starnberg (2012). Bei aller Unterschiedlichkeit – neben den Wünschen des Bauherrn bestimmen vor allem anderen auf Ort und Kontext den Entwurf – sind ihre Gebäude nie unangemessen extravagant, sondern stets diszipliniert, und beschränken sich auf meist wenige, sichtbar belassene Materialien wie Beton, Glas, Holz und Stahl.
Genauso schlicht und unprätentiös wie der Titel der Ausstellung selbst ist auch die begleitende Publikation: ein 12-fach gefaltetes, beidseitig bedrucktes Leporello, das auf der oberen Seitenhälfte je elf Modell- und Bestandsfotos zeigt, im unteren Teil das sonstige Oeuvre der Architekten – in der Ausstellung ist es im rückwärtigen Raum zu sehen. Bei allem Erfolg haben Felix Bembé und Sebastian Dellinger nie die Bodenhaftung verloren: Nach dem Ende der Ausstellung kommen die Flachbildschirme ins Büro – dann hat jeder der mittlerweile über 30 Mitarbeiter einen zweiten Monitor.
Sonntagabend viertel vor sieben vor der Augustenstraße 47a: Im Eingangsbereich des Café Schiefer herrscht ein ziemliches Gedränge: Die Leute wollen aber nichts essen oder trinken, sondern stehen für Karten für „HiSTOR[E]y Ladengeschichten“ an.
Als es um sieben dann losgeht, schwärmen die „Besucher“ in drei Gruppen aus, um auf unterschiedlichen Routen, die Gegend zwischen Gabelsberger-, Schleißheimer-, Theresien-, Heß-, Schwind- und Augustenstraße zu erkunden; vorbei an diversen „Leuchtpunkten“, wo Postkarten die Geschichte des jeweiligen Hauses erzählen – unter anderem der ursprünglichen Spielstätte der Münchner Kammerspiele in der Augustenstraße 89, des Kaufhauses an der Ecke Theresien-/Augustenstraße, eines Ladens für „Entrümpelungen“, der Kunstgießerei München und des mittlerweile geschlossenen „Heß-Stüberls“.
Und um zeitversetzt im Abstand von 20 Minuten die drei „Hauptveranstaltungsorte“ zu erreichen: leerstehende, für das Projekt temporär genutzte Ladenlokale, die wie das in der Theresienstraße 75 bald für immer verschwinden werden. Das Haus ist verkauft, die Abrissgenehmigung erteilt. Mit ihrem Projekt führen Anna Donderer & Anna Wieczorek von CADAM die Teilnehmer der abendlichen Schnitzeljagd zu Leerstellen der Maxvorstadt.
In den drei Ladenräumen setzen sich Tänzerinnen in Form von für den jeweiligen Ort on site erarbeiteten Solo-Performances mit den Geschichten der Räume auseinander: In der Theresienstraße 156 thematisiert Amanda Billberg die lange Zeit verborgene Geschichte des ehemaligen Nagelstudios als Hinterzimmer-Bordell: in einer Choroegraphie, die zwischen Voyeurismus, nonverbaler Kommunikation und mechanisierter Routine changiert, zwischen Erniedrigung und Macht – und die an eine mechanische Puppe erinnert, die peu à peu außer Kontrolle gerät und dabei zusehends aggressiver wird. Dagegen bearbeitet in der Theresienstraße 75 Kathrin Knöpfle passend zum letzten Mieter – über dem Eingang steht „Hörzone“ – Wände, Boden und Fenster mit einem Mikrofon (und vice versa), und feiert dabei sowohl den Raum als auch das Ende seiner Existenz. Ihre Performance ist die letzte Aktion, die in diesen Räumen stattfindet. In der Augustenstraße 74 schließlich reflektiert Stephanie Felber mit einer ganzen Armada tickender Eieruhren die jüngste Geschichte des Ladengeschäfts als Salatbar – die Räume sind wieder zu vermieten.
Das vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München geförderte, ebenso sorgfältig wie aufwändig recherchierte Projekt sucht dort nach Leerstellen, wo eigentlich keine mehr sind, und eignet sich an, was (kaum beachtet) auch zum Münchner Stadtbild gehört: temporär nicht genutzte Ladenräume. Das erarbeitete Material dient den jungen Choreografinnen Amanda Billberg, Stephanie Felber und Kathrin Knöpfle als Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit; die Zwischennutzung der Ladenräume bietet Künstlern und Besuchern die Möglichkeit für eine gezielte Auseinandersetzung mit dem Münchner Stadtbild: Was ist die Geschichte des Ladenraums? Auf welche Geschäfte, Menschen, historischen Ereignisse und Kuriositäten wird man stoßen? Dieser Spur folgt HiSTOR[E]y auf einem (Tanz-)Spaziergang von Ladenraum zu Ladenraum.
Das Auditorium, Oswald Mathias‘ Ungers Schmuckkästchen im Deutschen Architekturmuseum, war bis auf den letzten Platz gefüllt, als „Baumeister“-Herausgeber Wolfgang Bachmann vergangenen Donnerstag Abend die Preisverleihung von „Häuser des Jahres 2012“ einläutete – die zu spät Gekommenen mussten sich mit einem Sitzplatz auf der Treppe oder mit einem Stehplatz auf der Galerie begnügen.
Mit insgesamt 223 Einreichungen hatte es deutlich mehr Teilnehmer gegeben als an der Premiere 2011, dafür gab es auf den ersten Blick weniger außergewöhnliche Häuser dafür ein breites Mittelfeld sehr ähnlicher Arbeiten, so Bachmann. Und weiter: „Die weiße Villa mit Flachdach hat sich unter wohlhabenden Bauherren als Nonplusultra durchgesetzt. Das mag man als Erfolg betrachten, aber bei genauerem Hinsehen offenbarte sich doch, dass es immense Unterschiede gibt, welche Balance geschlossene Flächen und Öffnungen eingehen, welchen Kubus sie bilden und welche Zuwendung man den Details gewidmet hat. Ein Fenster ist eben kein zufälliges Loch in der Wand, und ein Haus hört nicht einfach irgendwie am Dachrand auf.“
Weshalb die Jury die attraktive Bauaufgabe Einfamilienhaus dieses Mal nicht nur als persönliche Verwirklichung der Bauherrschaft begriff, sondern als Beitrag oder Eingriff in einen städtebaulichen Kontext. Damit zur eigentlichen Preisverleihung: Vier Auszeichnungen gingen an - Katrin und Otto Brugger für die Sanierung ihres 250 Jahre alten Bauernhauses im vorarlbergischen Bartholomäberg („Ein Meisterwerk zeitgenössischen Weiterbauens, das an Gion Caminadas wegweisende Eingriffe erinnert und eine pflegliche und liebevolle Haltung offenbart, die im ländlichen Raum längst nicht mehr selbstverständlich ist.“ | Peter Cachola Schmal),
- L3P Architekten aus Regensberg für zwei Minergiehäuser in Oberweningen („Das im Zürcher Unterland realisierte Projekt setzt sich thematisch mit dem Doppelhaus und dem Einfamilienhaus auseinander und dies auf eine interessante Art und Weise.“ | Armando Ruinelli),
- Denzer & Poensgen aus Nettersheim-Marmagen für die Erweiterung eines Wohnhauses in Wuppertal („Ein altes Haus nicht einfach abzureißen, sondern durch geschickte Ergänzung zu erhalten, sogar aufzuwerten und mit dem Anbau in einen Dialog treten zu lassen, findet von vornherein die Zustimmung der Jury.“ | Thomas Kaczmarek), und
- e2a eckert eckert architekten für ein privates Wohnhaus am Zürichsee („Das Prinzip Einfamilienhaus wird erweitert durch eine abtrennbare Wohnung im zweiten Obergeschoss, was ein zweiter Treppenlauf ermöglicht. Damit lässt sich sowohl mit erwachsenen Kindern, Au-pair, Patchwork-Familie, Pflegepersonal oder Arbeitsräumen ein Haushalt neu definieren – wer wann auch immer diese Entscheidung treffen mag.“ | Wolfgang Bachmann)
Eine Urbane Villa von 2b architectes aus Lausanne die vier große Wohneinheiten in einem kristallin anmutenden Volumen verbindet, fand die Jury so interessant, dass sie ihr einen Sonderpreis verlieh – obwohl es sich bei dem Gebäude typologisch nicht um ein Einfamilienhaus handelt: „Die Jury erkannte darin einen innovativen Beitrag zur Frage der innerstädtischen Verdichtung und honoriert die Fähigkeiten der Architekten, auf diese für unsere Städte so wichtigen Fragestellung eine überzeugende, zeitgenössische Antwort gegeben zu haben“, so Max Dudler.
Der mit 10.000 Euro dotierte „Hauptpreis“ aber ging an Daniele Marques aus Luzern für seine drei in traumhafter Hanglage am Vierwaldstätter See errichteten Einfamilienhäuser. Die Jury entschied sich für die Vergabe des ersten Preises „nicht zuletzt“, so Wolfgang Pehnt, „weil hier das Ur-Schweizer Thema des Terrassenhauses intelligent variiert wurde. Trotz kompakter Dichte bietet die Anlage ein denkbar hohes Maß an Wohnkomfort und Eleganz.“
Im anschließenden Publikumsgespräch mit Wolfgang Bachmann und dem ersten Preisträger stellte sich dann bei einem Glas Rotwein heraus, dass nicht nur Daniele Marques, sondern auch die übrigen Preisträger (mit einer Ausnahme) zumindest teilweise für den eigenen Wohn- und Arbeitsbedarf geplant und gebaut haben. Und, dass es unter den eingereichten Arbeiten ein qualitativ wie quantitativ ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle gab: Vier der insgesamt sechs prämierten Arbeiten stammen aus der Schweiz, eine aus Österreich. Immerhin finden sich unter den 50 Häusern, die es ins Buch geschafft haben, ein paar aus Bayern – die Ausstellung ist noch bis zum 28. Oktober zu sehen...
Das verflixte siebente Mal: Der Titel des von Billy Wilder 1955 gedrehtem Film „Das verflixte siebente Jahr“ wurde zum Synonym für die vermeintlich kritischste Phase einer Beziehung. Das trifft auf die von den BDA Kreisverbänden Unter-, Mittel- und Oberfranken zum siebten Mal ausgelobte „Auszeichnung Guter Bauten in Franken“ nicht zu...
Im Gegenteil: Mit 93 Einreichungen war die Beteiligung höher denn je, und auch die Bandbreite und die Qualität der Arbeiten waren beeindruckend. Das Spektrum reichte von der „minimal invasiven“ Sanierung über die Neu- und Nachnutzung brachgefallener Industriedenkmäler, von Büro- und Verwaltungsgebäuden bis hin zu Sakralbauten und städtebaulichen Eingriffen. Von Krise also weit und breit keine Spur.
Unter den zahlreich vertretenen klassischen Bauaufgaben ragten aus Sicht des Jury einige „exotische“, zunächst unspektakuläre und auf unterschiedliche Art und Weise „arme“ Projekte heraus, die auf den zweiten Blick mit der Konsequenz und Präzision ihrer Durcharbeitung punkteten, und dies trotz eher enger Budgets: Der „prozessorientierte“ kommunale Logistikbau ebenso wie die denkmalgerechte Sanierung und die der Wohnungsbau für gesellschaftliche Randgruppen – allesamt nicht nur unter funktionalen, sondern auch unter gestalterischen und städtebaulichen Kriterien hervorragend gelöst.
Wie immer bei Preisgerichten führte die Aufgabe, aus den zahlreichen qualitätvollen Architekturen die im Sinne der Auslobung besten auszuwählen, zu einer intensiven und teilweise lebhaften Diskussion – und dazu, dass der ein oder andere persönliche, zur Halbzeit noch in Führung liegende Favorit am Ende des Tages doch nicht ausgezeichnet wurde.
Dessen ungeachtet unterstreichen die Lobenden Erwähnungen, Anerkennungen und Preise, dass Franken auf dem Weg zu einer eigenen architektonischen Identität innerhalb Bayerns ein gutes Stück vorangekommen ist; auch und nicht zuletzt dank der „Auszeichnung Guter Bauten“.
Die Ausstellung ist noch bis zum 7. Oktober im Neuen Museum in Nürnberg zu sehen und geht anschließend auf Tour durch Nordbayern.
Der goldene Löwe 2012 für den besten Länderpavillon ging an Japan. Am Tag vor der Bekanntgabe des Juryentscheids sprachen Jochen Paul und Kaori Hirasawa mit commissioner Toyo Ito und den Kuratoren Sou Fujimoto, Akihisa Hirata und Kumiko Inui über den japanischen Beitrag „Home for all“, den Tsunami und seine Konsequenzen auf Architektur und Politik in Japan.
Jochen Paul: Was hat sich in den letzten anderthalb Jahren verändert?
Toyo Ito: Um ehrlich zu sein – in der Politik hat sich meiner Meinung nach nichts verändert. Ich hatte mehrere Male Gelegenheit, die vom Tsunami verwüstete Gegend zu besuchen, und auch an einigen Projekten mitzuarbeiten. Das Problem ist, dass die japanische Regierung beim Wiederaufbau auf genau dieselben Technologien setzt, die uns die Katastrophe beschert haben. Der Tsunami zerstörte zwei Dinge: Erstens die Wellenbrecher und die Schutzwälle, die die Küste hätten sichern sollen, und zweitens das Kernkraftwerk von Fukushima. Die Ursache dafür war ein und dieselbe – das uneingeschränkte Vertrauen in Technologie und darauf, dass sie absolut sicher und zu hundert Prozent beherrschbar ist. Und obwohl dieses Vertrauen infolge des Reaktorunglücks massiv gestört wurde, setzt die Regierung beim Wiederaufbau auf genau dieselben Technologien wir vorher – als ob es nur darum ginge, die Wellenbrecher zu verstärken und die Schutzwälle zu erhöhen, damit die nach Fukushima abgeschalteten Kernkraftwerke wieder ans Netz gehen können. Ein grundsätzliches Nachdenken über unseren Umgang mit der Natur findet dort nicht statt, was mich sehr verärgert: Diese Art von Wiederaufbau ist einzig und allein politisch motiviert, dabei wäre es eine Erkenntnis von grosser Tragweite, dass die Technologie, auf die wir seit 50 Jahren setzen, nicht ganz so nützlich und unbedenklich ist wie wir dachten.
JP: Was müsste sich demnach ändern?
TI: Die verwüstete Gegend war auch vor dem Tsunami keine Wachstumsregion und für die Wirtschaft des Landes ziemlich unbedeutend – und leider war ihre landschaftliche Schönheit mit den tief eingeschnittenen Buchten der Riaküste und den Bergen im Hintergrund gleichzeitig der Grund, warum sie am stärksten unter dem Tsunami gelitten hat. Auf der anderen Seite war die Natur dort noch relativ intakt, und die Leute hatten den Bezug zu ihr und ihren Mitmenschen noch nicht komplett verloren. Deshalb wollten sie auch ihre Häuser nach dem Tsunami dort wieder aufbauen. Aus meiner Sicht sind unser Umgang mit der Natur und unser Umgang miteinander Themen von allergrösster Wichtigkeit und zwei der Schlüsselfragen für unsere Zukunft. Leider ist diese Erkenntnis in Japan noch überhaupt nicht angekommen, hat sich diese Denkweise noch überhaupt nicht durchgesetzt. Architektur wird immer noch als sehr technische Disziplin betrachtet.
JP: Ihre Ausstellung stellt die Frage ja explizit, deswegen würde ich gerne noch etwas nachhaken: Was ist aus ihrer Sicht die Rolle der Architektur nach Fukushima, welche Konsequenzen sind Ihrer Ansicht daraus zu ziehen?
Kumiko Inui: Im Gegensatz zur Regierungspolitik findet in der Bevölkerung und auf der Ebene vieler Kommunalverwaltungen gerade ein fundamentaler Umbruch statt: Ein Grossteil der Japaner ist zutiefst verunsichert, wenn es um die weitere Nutzung von Kernkraft geht – und sie beginnen erstmals, dieses Unbehagen auch zu artikulieren, sich aktiv in die politischen Prozesse einzumischen und öffentlich gegen die Wiederaufbaupläne der Regierung zu protestieren. Das gab es in Japan noch nie. Insofern ist das, was wir seit eineinhalb Jahren erleben, so etwas wie die Stunde Null einer bürgerlichen Protestbewegung.
TI: Ein ähnliches Projekt eines „Home for all“-Gemeinschaftshauses hatten wir vor dem Tsunami bereits in der Provinz Kumamoto realisiert, weshalb die dortige Präfektur der von der Naturkatastrophe am schlimmsten betroffenen Gegend, der Provinz Miyagi, Gelder und Baumaterial für den Wiederaufbau zur Verfügung stellte, und seitdem im Rahmen einer Partnerschaft auf mehreren Ebenen mit ihr zusammenarbeitet – über 1.500 Kilometer Entfernung, direkt und ohne den bisher üblichen Umweg über Tokio. Für Japan könnte diese Kooperation ein Pilotprojekt sein, sich neu und anders als bisher zu vernetzen. Im konkreten Fall unseres Projekts in Miyagi war es so, dass uns die dortigen Behörden auf unsere Frage, wie wir helfen könnten, an Frau Sugawara verwiesen, die Sprecherin des lokalen Protests gegen die Wiederaufbaupläne der Regierung. Das ist insofern interessant, als dass es zeigt, wie sehr sich auf der Ebene der Betroffenen die Stimmung verändert hat.
JP: In der Einführung zu Ihrer Ausstellung thematisieren Sie das Aufeinandertreffen von Technologiegläubigkeit, Technokraten und top down-Prozessen auf der einen Seite und Selbsthilfeorganisationen, Grasswurzel-Bewegungen und bottom up-Prozessen auf der anderen Seite. Könnten Sie das noch etwas ausführen?
TI: Zuallererst geht es meiner Meinung nach darum, darüber nachzudenken, was zu tun ist, und wie es zu tun ist – und darum, diesen Abwägungs- und Entscheidungsprozess zu teilen, die Bürger daran zu beteiligen. Einzig von oben nach unten lassen sich solche Entscheidungen nicht mehr verordnen, das führt nur zu Protest und Widerspruch – Leute, die von irgendwo herkommen, um den Betroffenen zu erzählen, was sie wie zu tun und zu lassen haben,… das ist Unsinn.
Sou Fujimoto: Dafür ist unser „Home for all“-Projekt, glaube ich, ein gutes Beispiel: Wir nutzen es dafür, um mit den Betroffenen darüber zu diskutieren, was sie brauchen und was dafür zu tun ist. Erst nachdem Sie eine solche Diskussion geführt haben, können Sie im Rahmen von top down-Prozessen mit der Umsetzung beginnen.
Akihisa Hirata: Wir glauben, dass wir erst grundsätzlich klären müssen, was die Leute dort jetzt brauchen und haben wollen – sonst macht der technokratische Ansatz überhaupt keinen Sinn. Deshalb ist es jetzt auch nicht wichtig, etwas Grosses zu bauen, sondern es geht darum, die entstehende Bewegung zu unterstützen – erst dann können wir uns überlegen, wie wir das technisch bewerkstelligen…
JP: Ein weiterer Aspekt, der mir in Ihrer Ausstellung aufgefallen ist, ist die Betonung des community aspect, von Gemeinschaft und von Kommunikation. Könnten Sie das noch etwas vertiefen?
TI: In einer Region, die derart verwüstet wurde, ist alles zerstört. Aber auf der andern Seite geht es darum, dass dort eine neue Gemeinschaft entstehen kann, und unsere Aufgabe als Architekten ist es, dafür die für die jeweilige Situation passenden Orte zur Verfügung zu stellen – im Austausch mit engagierten Bürgern wie Frau Sagawara. Es geht also um Kommunikation und um einen Raum, der in der Lage ist, die Wünsche der Bewohner und ihre Erinnerungen an die Zeit vor der Katastrophe adäquat zu berücksichtigen und ihnen Ausdruck zu verleihen.
JP: Wie haben Sie das geschafft, sie in Architektur zu überführen?
TI: Unsere gegenwärtige Gesellschaft unterscheidet Leute, die Architektur denken, Leute, die Architektur machen und Leute, die Architektur benutzen. Meistens sind die Rollen streng voneinander getrennt – und auch die Erwartungen an Architektur sind nicht immer deckungsgleich. Dagegen war es bei unserem „Home for all“-Projekt so, dass alle drei Gruppen ‑ Architekten, Bauhandwerker und Nutzer ‑ von Anfang an an dem Prozess beteiligt waren und ihre Interessen sich weitgehend deckten. Das ist der entscheidende Unterschied, und auch wenn es sich dabei um ein sehr spezielles Projekt handelt, glaube ich, dass wir generell davon sehr viel ableiten können.
SF: Als wir Frau Sugawara zum ersten Mal trafen, zeigte sie uns die Notunterkünfte, in denen sie lebten, nachdem sie nach ein paar Wochen im Schulhaus, wo sich so etwas wie ein Gemeinschaftsleben, eine primitive community, entwickelt hatte, umgesiedelt worden waren – wir kannten also ihre Lebensbedingungen. Daraus entstand die Idee von „Home for all“, das hat uns sehr geholfen, uns zu überlegen, welche Art von Architektur für diesen Ort angemessen sein könnte. Auch wenn es uns als Architekten war es nicht so schwierig gewesen wäre, dem Anliegen eine entsprechende Form zu geben, haben wir unsere Ideen und Konzepte so lange diskutiert und gemeinsam weiterentwickelt, bis wir eine Übereinkunft erzielt hatten.
AH: Zum Beispiel ist so die Idee entstanden, die Zedernholzstämme als Stützen zu verwenden – anstatt sie ein weiteres Mal zu zerstören und sie zu Holzkohle zu verarbeiten: Die Gegend war vor dem Tsunami berühmt für ihre Zedernwälder, danach lagen die Bäume entwurzelt im Salzwasser und wären innerhalb kurzer Zeit verrottet. Als Stützen für unser „Home for all“ dagegen greifen sie die Geschichte des Orts und die Erinnerungen seiner Bewohner auf. Ebenso entschieden wir im Dialog mit Ihnen, das Gebäude so zu platzieren, dass es eine möglichst ungehinderte Aussicht auf die Bucht und die Umgebung bietet. Auch wenn eine so intensive Kommunikation sicher eine Ausnahme ist und auf die spezielle Situation zurückgeht, war sie gleichzeitig auch ein Weg, eine Möglichkeit, ehrlich und offen zu sein in Bezug auf das, was wir machen wollten.
JP: Was lässt sich aus diesen sehr speziellen Erfahrungen generell für das Bauen und die Architektur im Allgemeinen ableiten?
TI: Wenn Sie nur die reinen Baukosten betrachten, dann sind die Notunterkünfte, in denen die Menschen nach dem Tsunami untergebracht wurden, genauso teuer wie unser „Home for all“ – das heisst, sie könnten zu denselben Kosten Unterkünfte von erheblich höherer Qualität bauen.
Kaori Hirasawa: Lässt sich das auch auf den Wohnungsbau übertragen?
TI: Auch wenn sich unser Projekt hier insofern vom privaten Wohnungsbau unterscheidet, als dass es sich zu seiner Umgebung hin öffnet, mit ihr in Kontakt tritt und den Raum nach draussen verlängert. Das finden Sie im Wohnungsbau selten. Davon abgesehen ist vieles aus unserem Projekt auch auf den Wohnungsbau übertragbar: Die Antworten, die wir zum Thema Energieeffizienz geben, die Kommunikationsmöglichkeiten, die es bietet, …
KH: Weil das Stichwort gerade fiel – in Europa, vor allem in Deutschland und der Schweiz, sind die Themen graue Energie, Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeit und Reduktion des Energieverbrauchs seit einigen Jahren sehr präsent: Wie sieht es damit in Japan aus?
TI: Vielleicht sind wir in Japan nicht ganz so für diese Themen sensibilisiert wie Sie es erwarten würden, aber ganz grundsätzlich unterscheidet sich unser Ansatz, Energie zu sparen, von dem In Europa vorherrschenden: Dort versucht man diese Ziele oft dadurch zu erreichen, indem man das Innere eines Gebäudes möglichst hermetisch von der Aussenwelt trennt und abschottet. Ich dagegen denke – und ich habe mich damit im Rahmen von zahlreichen Projekten beschäftigt –, dass es vorteilhafter ist, den Übergang von innen und aussen möglichst fliessend zu gestalten, um den Bewohnern den Kontakt zur Natur zu ermöglichen. Damit, glaube ich, kommen wir in Japan zu besseren Ergebnissen: Auch wenn wir, weil das Klima in Japan anders ist, nicht soviel Energie wie in Europa einsparen können, lässt sich auch damit der Energieverbrauch um die Hälfte senken – ohne dass wir dabei auf den Kontakt zur Natur verzichten müssten.
JP: Das ist die diametral entgegengesetzte Auffassung…
TI: Ja, aber die Trennung von innen und aussen entspricht einfach nicht unserer Lebensweise in Japan. Wir denken, dass ein fliessender Übergang zu höherer Lebensqualität führt, weil wir den Aussenraum als Teil der Wohnung wahrnehmen.
JP: Was können Europa und Japan voneinander lernen?
TI: Zuallererst müssen wir uns über die Unterschiede klar werden. Meiner Meinung nach ist unsere Beziehung zur Natur und zu unseren Mitmenschen ausschlaggebend – und die ist in Japan komplett anders als in Europa. Sich das bewusst zu machen ist wichtig, erst dann können wir sie neu überdenken und voneinander lernen.
JP: Vielen Dank für das Gespräch.
2012 ist für die Landeshauptstadt ein Jahr der Jubiläen: Neben der Großmarkthalle feiern unter anderen das Filmfest (30 Jahre), die XX. Olympischen Spiele, der MVV und die Fußgängerzone (40 Jahre), die Münchner Kammerspiele (100 Jahre) und das Bayerische Zentral-Landwirtschaftsfest (125 Jahre).
Im Gegensatz zur Theresienwiese ist der Großmarkt an der Thalkirchner Straße den Münchnern, die selbst nicht dort arbeiten, weitgehend unbekannt: Das 31 ha große Areal – bei einem Jahresumschlag von 700.000 t nach Paris-Rungis und der Unidad Agroalimentaria von Barcelona der drittgrößte Handelsplatz für Lebensmittel und Blumen in Europa – ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Zu ihrer Einweihung am 14. Februar 1912 waren die vier von Richard Schachner (1873 – 1936) für 2,8 Mio. Goldmark in unmittelbarer Nähe des Schlachthofs errichteten Markthallen nicht nur Deutschland größter Eisenbetonbau, sondern als Ikone einer funktionalistischen Industriearchitektur auch durchaus vergleichbar mit Peter Behrens' AEG Turbinenhalle; 1924 eröffnete Karl Meitingers (1882 – 1970) Kontorhaus I auf dem Gelände. 1945 war der Großmarkt dann zu 80 Prozent zerstört – von den markanten Spitzbogendächern der vier Hallen ist nur noch eines erhalten, die drei anderen Hallen wurden in den 1950er Jahren vereinfacht wieder aufgebaut.
Als die Direktion der Münchner Markthallen das Münchner Stadtmuseum wegen der Ausstellung kontaktierte, stellten die Kuratorinnen zunächst fest, dass sich das Projekt nur sehr eingeschränkt aus den eigenen Sammlungen realisieren liess: Bis in die jüngste Vergangenheit hatte das Münchner Selbstbild die Themenbereiche Industrie und Wirtschaft weitgehend ausgeklammert. Zum Ausgangspunkt ihrer Recherchen wurde deshalb die wirtschaftshistorische Dissertation eines Grossmarkthändlers, Dr. Hans Widmann, über seinen „Arbeitsplatz“. Das Problem der fehlenden Exponate lösten Ursula Eymold und Nana Koschnick, indem sie die Sonderausstellungsfläche im 2. Obergeschoss in ein begehbares Diorama um die Themen Masse, Frische und Bewegung verwandelten – unter Rückgriff auf eine Vielzahl von Obstkisten unterschiedlichster Epochen und sämtliche Dokumentarfilme, die seit 1958 über den „Bauch von München“ gedreht worden waren.
Zudem stellen sie das Thema Grossmarkt in einen stadtentwicklungsgeschichtlichen Kontext: „Täglich frisch!“ erzählt die fundamentale Veränderung der Lebensmittelversorgung der Münchner vor dem Hintergrund von Münchens Entwicklung zur Großstadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von 1851 bis 1912 war die Bevölkerung von 90.000 auf 615.000 Einwohner gestiegen, zwischen 1870 und 1890 hatte sie sich verdoppelt – was die bestehenden Marktplätze Viktualienmarkt und Schrannenhalle zunehmend überforderte.
Ein Jahrhundert nach seiner Inbetriebnahme steht der Münchner Großmarkt trotz zahlreicher Erweiterungen vor einer grundlegenden Sanierung oder einem Neubau; bis 2016 soll das Projekt abgeschlossen sein. In der Ausstellung heißt es dazu: „Die aktuelle politische Diskussion in den städtischen Gremien lässt derzeit die Präsentation des Planungsstandes nicht zu. Neue Beschlüsse und Ergebnisse sollen während der Laufzeit der Ausstellung ergänzt werden.“ Damit ist trotz einer Verlängerung um sechs Wochen nicht mehr zu rechnen – immerhin sind drei Diplomarbeiten zu sehen, die sich 2010 an der TU München mit den Großmarkthallen beschäftigten. Aber auch das hat Tradition: Bereits der Gründung vor 100 Jahren war eine 20-jährige Diskussion um den richtigen Standort vorausgegangen.
Zu seinem ersten „runden Geburtstag“ lud der 2002 von Christoph Lemp und Jürgen Schorn als geschäftsführende Gesellschafter gegründete Münchner Immobilienentwickler im kleinen Kreis in die Prinzregentenstraße 22 direkt vis-à-vis dem Haus der Kunst.
Am Anfang stand ein Nischenprodukt: Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Kombination von anspruchsvoller Architektur, hochwertigen Materialien und intelligenten Grundrissen in der Landeshauptstadt eher selten zu finden war (und ist), verlegten sich die beiden Gründer darauf, exklusive Immobilien in begehrten Lagen anzubieten – oder, wie Christoph Lemp sagen würde, „Objekte, in die wir auch selbst gerne einziehen würden.“
Mit Erfolg: Zehn Jahre Bauwerk bedeuten nicht nur eine Umsatzsteigerung von 3,5 Mio. Euro im Gründungsjahr auf 146 Mio. Euro in 2011 und einen Zuwachs der Adresskartei von null auf über 15.000 Kunden und Kaufinteressenten, sondern auch so unterschiedliche Projekte wie das erste Objekt, die Arcisstraße 50 (2003), die Isarlofts in der Zeppelinstraße (2006), das REDUKT (2009), Gern 64 und die Lilienstraße 10 – und einen Anstieg der Mitarbeiter auf mittlerweile 20 Festangestellte.
Seit 2009 arbeitet Bauwerk als Mitglied der DGNB Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen an der Zertifikation für Wohnvorhaben mit, 2011 wurde das Unternehmen u.a. mit dem Immobilien Manager Award in der Kategorie „Projektentwicklung Neubau“ (für Gern 64) und mit dem red dot design award (für die Website) ausgezeichnet. Aktuell vermarktet die Bauwerk Capital drei Objekte am Englischen Garten.
Zurück in die Prinzregentenstraße: Auf die offizielle Begrüßung folgte eine Führung der ca. 25 Gäste durch die 2008 bezogenen Firmenräume, verbunden mit dem ein oder anderen Einblick in Firmenphilosophie und -strategie – wie zum Beispiel, dass Immobilen konsequent als Produkt begriffen und vermarktet werden, dass das Kaufinteresse 14 Tage nach dem Erstkontakt signifikant nachlässt und danach nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand wieder zu reanimieren ist, oder dass die Bauwerk ernsthaft darüber nachdenkt, „ im nächsten Jahr in Märkte außerhalb Münchens und noch mehr als bisher in Projekte der Mittelklasse zu expandieren“, so Jürgen Schorn.
So viel zum formellen Teil des Abends. Zum informellen Teil ging es auf die Dachterrasse, wo die Einladung bei Gesprächen zwischen small und business talk, fingerfood und drinks, 360°-Rundumblick über München und einem dramatischen Sonnenuntergang ihren Ausklang fand.
März 2012 | 31 Referenten, drei Tage und der Starnberger See: Das erste Frühlingswochenende nutzten die urbanauten, um in der abgeschiedenen Beschaulichkeit der Evangelischen Akademie Tutzing über die Stadt, den öffentlichen Raum und deren Entwicklung im Zeichen von sozialen Netzwerken und mobilem Internet nachzudenken und über neue Formen von Protest, Teilhabe und Diskursproduktion zwischen digitalen und analogen öffentlichen Räumen zu diskutieren. Der Freitagabend begann mit dem Kulturreferenten Dr. Hans-Georg Küppers, der in seinem Grußwort davor warnte, so unterschiedliche Protestbewegungen wie „Occupy Wall Street“ und die „Arabellion“ nur deswegen gleichzusetzen, weil sie dieselben Medien verwenden.
Auf ihn folgte Bündnis 90/Die Grünen-Stadtrat Siegfried Benkert, der unter dem Titel „Stadtluft macht frei!“ durch die Geschichte der Bayerischen Protestbewegung seit 1848 führte: Von der Bierpreisrevolution über Lola Montez und Kurt Eisner bis zu den Schwabinger Krawallen gelte, so Benkert, dass Stadtluft nicht nur frei, sondern auch rebellisch mache. Diese Aussage „verlängerte“ Anne Roth, Mitgründerin von Indymedia.de, in ihrem Ausblick auf die digitalisierte Welt bis 2048 – wobei, so ihre These, virtueller Protest vor allem als begleitender Protest zu einem real stattfindenden Protest an einem konkreten Ort wirksam ist.
Das anschließende Kamingespräch drehte sich vor allem um die Frage, was die neuen Formen einer digitalen Bürgerbeteiligung konkret für die Demokratie leisten – Beteiligung, so der Landesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen, Dieter Janacek, „ist nicht l'art pour l'art, sondern muss zielgerichtet sein und zu Entscheidungen führen.“
Nach einem optionalen Morgenspaziergang am See stand der Samstagvormittag dann – endlich – im Zeichen von „Arabellion“: Unter dem Label „Bottom Up“ sprachen die Journalistin Hannah Wettig über „Zivilgesellschaft und Revolution in den Städten des Orients“, die Medienwissenschaftlerin Rania Gaafar über mediatisierte Räume und „Akteur-Netzwerke“. Und bei allen Unterschieden ihrer Betrachtungsweise stimmten auch sie überein, dass erfolgreicher Widerstand unbedingt erleb- und besetzbare Räume in der realen Welt benötigt: In Kairo, so Hannah Wettig, eroberten die Revolutionäre den „analogen Raum“ des Tahrir Square erst nachdem die Regierung das Internet und die Mobilfunknetze abgeschaltet hatte.
Im Anschluss daran untersuchte der Soziologe Prof. Dr. (em.) Dieter Rucht die notwendigen und hinreichenden Bedingungen von Protesten. Neben Unzufriedenheit u. a. die Wahrnehmung, nicht alleine von dem jeweiligen Problem betroffen zu sein, Multiplikatoren und entsprechende Gelegenheitsfenster.
„Top Down“ und „Inside Out“ waren die Oberbegriffe des Nachmittags: Die Vorstellung des „Munich Online Government Day“ (MOGDy) unterstrich, dass (auch) München den öffentlichen Zwischenraum erobert, konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das ehemalige Vorzeigeprojekt einer digitalen Verwaltungsöffnung im zweiten Jahr nach seinem Start durchaus etwas neuen Schwung vertragen könnte.
In Hamburg ist man dagegen mit mehr Rückenwind unterwegs: Dort hat die städtische Kreativgesellschaft mit „Nordstarter“ eine Crowdfunding-Plattform geschaffen, auf der jeder sein Projekt – von der Kinderfreizeit bis zur Konzertveranstaltung – vorstellen, bewerben und online Geld für die Umsetzung sammeln kann. Immerhin sieben Ideen wurden auf diese Weise erfolgreich realisiert.
Wobei zur Ehrenrettung der Landeshauptstadt noch gesagt sei, dass im Rahmen von „München MitDenken“ auch hier interessierte Bürger die langfristige Entwicklung der Stadt mitgestalten können – on- wie offline.
Der Samstagnachmittag gehörte dann zwei Vertretern aus der Wirtschaft. Stefan Schröder von Siemens zeigte anhand des in den Londoner Royal Victoria Docks angesiedelten Projekts „The Crystal“, welche neuen Herausforderungen und Geschäftsfelder im Zeichen des „Urban Millennium" für Infrastrukturanbieter wie Siemens in den (Mega)Städten und Ballungsräumen weltweit entstehen, und Peter Kusterer von IBM Deutschland präsentierte die „Smart City Initiative“: Städte als System von Subsystemen, welche die Probleme der Welt im Nukleus aufzeigen und verstehbar machen - um sie anschließend mit Big Data und den sich daraus ergebenden Analyse- und Steuerungsmöglichkeiten zu lösen.
Was bleibt? Am ehesten Siegfried Benkerts Aussage, dass das Internet und die sozialen Medien zwar über ein herausragendes Demokratisierungspotenzial verfügen, sie aber keinen herrschaftsfreien Raum darstellen: Google wird mit 100 Mrd. $ bewertet, Facebook steht vor einem milliardenschweren Börsengang – insofern haben sich die Machtverhältnisse zwar von den alten Medien wegbewegt (wofür man noch vor 15 Jahren einen Verlag und eine Druckerei brauchte, kann heute jeder), sind aber keineswegs verschwunden, und das Internet gehört nicht so sehr „demjenigen, der es sich nimmt“ (Peter Kusterer), sondern denjenigen, die es sich leisten können.
Und als persönliches Fazit die Erleichterung darüber, dass die physische Anwesenheit am Tagungsort auch in Zeiten von Web 2.0 ihre Vorteile hat: Das Versprechen, via Live-Facebooking auch aus der Ferne mitdiskutieren zu können, wurde nicht ganz eingelöst – dafür waren die Kommentare zu sehr Einzelteile eines großes Puzzles, das sich online nicht zusammenfügte. Im realen Raum macht Diskutieren ja auch viel mehr Spaß...
Beide Häuser waren am Sonntagmittag so gut besucht, dass man Mühe hatte aneinander vorbei zu kommen. Auffällig viele junge Famielein mit kleinen Kindern waren aus interesse trotz der Mittagshitze nach Feldmoching raus gekommen.
Das zunächst als Anbau geplante, aber jetzt freistehende Holzhaus ist ein "low-budget"-Haus. Davon ist beim Durchlaufen aber nichts zu merken. Der offene Wohnraum im EG misst immerhin stolze 120 qm! Auch das Obergeschoss ist schön geräumig und hat einen grossen, über die gesamte Haustiefe reichenden Balkon.Die freisthenden grob geschalten Betonwandscheiben geben der hölzernen Fassade den nötigen optischen "Gegenpol"
Anders der Entwurf für Jutta Knigge. So gelungen die Fassade(n) des Hauses im Kuckucksblumenweg, so kleinteilig erscheint das Innere. Allerdings lassen die bodentiefen Fenster viel Licht herein - sogar im Bad im EG kann man durch öffnen der Schiebetür Innen und Aussen verbinden. Der Wunsch nach einem Wintergarten wurde ideal in die strenge Gesamtkomposition eingebunden.
Die Möglichkeit bei fremden Leuten mal durchs Haus laufen zu dürfen ist eine prima Idee - nicht nur für diejenigen, die aktuell bauen wollen...
Hier die Architekten-Kontakte:
Holzhaus für Familie Mörtl, Knospenstrasse 28 von "Ökologisches Bauen, Hanno Kapfenberger" Email: buero@hanno-kapfenberg.de
Wohnahaus im Kuckucksblumenweg von Nikolaus Maissler Marion Hlaswatschek Architekten
Email: architekten@meissler-hlawatschek.de
RG
Wie kein anderes Büro stehen Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch für die Verbindung funktionaler, ökologisch bewusster und stadträumlich integrierter Planung und der Freude an sinnlichen Formen und Farben. Ihre Kombination aus „sense and sensibility“ ist bis Ende März in der Architekturgalerie zu besichtigen.
Dabei liegen zwischen dem kleinsten (und ersten Münchner) Projekt des Büros – den fünf vom Konzeptkünstler Olaf Nicolai 2002 für den Botanischen Garten in Auftrag gegebenen zeitgenössischen Bienenhäusern – und ihrem größten – der ADAC Hauptverwaltung – Welten; nicht nur in Bezug auf das Bauvolumen, sondern auch in Bezug auf die Qualität der Zusammenarbeit mit dem „Bauherrn“.
Den Anfang aber macht das Museum Brandhorst: Wie es auf Augenhöhe an der Längswand der steingrau gestrichenen Galerie hängt, entfaltet das Modell eine fast genauso starke Präsenz wie das Original auf der gegenüberliegenden Straßenseite – jedenfalls lässt sich an ihm auf einen Blick erkennen, aus wieviel (zig-)tausend verschiedenfarbig glasierten Keramikstäben die Fassade besteht. Und weil Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton den Begriff „Arbeitsmodell“ wörtlich nehmen, lässt sich jeder der im Modell streicholzlangen Stäbe abnehmen, um die Wirkung des (an keiner Stelle sequenziellen) Fassadenmusters zu überprüfen.
Dagegen gibt das Modell der ADAC-Hauptverwaltung einen früheren Planungsstand wieder: Die bis ins Sockelgeschoss verschiedenfarbige Fassade wird im Innenhof nicht realisiert. Dafür brilliert es mit einer ganz eigenen Kombination aus computergefräster Präzision und handwerklicher Anmutung der farbigen Fassadenelemente.
Diesen Effekt auf die Spitze treibt das Modell des „Haus K“, einer viergeschossigen Villa in der Königinstraße für einen Münchner Verleger und Kunstsammler mit fantastischem Blick auf den Englischen Garten. Seine Fassade besteht aus ca. 55.000 in 15 unterschiedlichen Farben glasierten Höckerziegeln: Macht in summa 110.000 verschiedenfarbige erhabene Quadrate – wobei der Scherben im Sockelbereich grau, darüber sandfarben gebrannt ist. Allein für dieses Modell war ein Mitarbeiter mehrere Wochen damit beschäftigt, die erhabenen Stellen der Ziegel von Hand zu kolorieren.
Den Abschluss bildet das von unten begehbare Modell eines Bürogebäudes der MunichRe aus den 1980er Jahren an der Schenkendorfstraße in Schwabing-Nord: Dort konnten Sauerbruch Hutton zum ersten Mal statt Abriss und Neubau eine Generalsanierung realisieren – was normalerweise an den Kosten oder den Möglichkeiten einer Nachverdichtung scheitert.
So unterschiedlich die gezeigten Projekte in Größe und Typologie auch sind: Gemeinsam ist ihnen allen das Thema der polychromen Fassade. Auf dem Vorbesichtigungstermin der Ausstellung sprach Jochen Paul mit Matthias Sauerbruch:
In „arbeiten für münchen“ ist kein einziger Plan zu sehen: Welche Bedeutung hat das Modell für Ihre Entwurfsarbeit?
Eine ganz zentrale: Nirgends lassen sich die Farbigkeit unserer Fassaden, ihre Fernwirkung und das Spiel von Licht und Schatten annähernd so genau überprüfen wie am Modell. Farbe ist für uns Material, genauso wie Stein, Glas, Metall oder Keramik, und Materialien lassen sich zweidimensional nicht befriedigend darstellen, weder am kalibrierten Bildschirm noch auf Papier. Das ist übrigens auch mit ein Grund, warum „Sauerbruch Hutton – Colour in Architecture“ erst jetzt erscheint: Die Abstimmung und Festlegung der Farben für die Druckfahnen war sehr aufwändig und entsprechend langwierig. Letzten Endes aber entscheidet die gebaute Realität – die Keramikstäbe für Fassade des Museum Brandhorst auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurden chargenweise farbig sortiert auf die Baustelle geliefert und anschließend aufgehängt: Als am Anfang nur die Rosatöne zu sehen waren, waren auch wir etwas unsicher, wie die Fassade am Ende aussehen würde.
Wodurch unterscheiden sich Ihre Arbeiten für München von den anderen Projekten des Büros?
Gute Frage – wir werden ja immer als Berliner Büro wahrgenommen, haben in München aber inzwischen mehr gebaut als in Berlin: Unsere dortigen Arbeiten sind allesamt älter, auch der Wettbewerb für unsere zuletzt fertig gestellte Feuer- und Polizeiwache wurde bereits 1999 entschieden. In meiner Wahrnehmung hat München auch ein anderes Verhältnis zu Farbe als Berlin, und das ist nicht nur eine Frage von Norden und Süden: Vor allem unter Hans Stimmann als Senatsbaudirektor war Berlin ganz bewusst sehr steinern und grau, was uns die Arbeit nicht unbedingt erleichtert hat. Dagegen ist das Klima unter seiner Nachfolgerin Regula Lüscher ideologiefreier und offener geworden.
Das Museum Brandhorst ist ja ein zentraler Baustein des Kunstareals. Wie beurteilen Sie dessen Anbindung an die Innenstadt im Zusammenhang mit den Planungen für das neue Siemens Headquarter?
Ich kenne den Entwurf von Henning Larsen Architects nicht gut genug, um wirklich beurteilen zu können, was er für die Erreichbarkeit und städtebauliche Anbindung des Kunstareals leistet, aber egal wie die Durchwegung des Siemens-Geländes en détail gestaltet ist: die Verkehrsführung an der Ecke Gabelsberger Straße/Oskar-von-Miller-Ring ist eine massive Barrierere, und eine diagonale Durchwegung vom Wittelsbacher Platz in Richtung Pinakotheken endet immer an der St. Markus-Kirche. Davon abgesehen würde aber sagen, dass das Museum selbst ein zentraler Impulsgeber für das Kunstareal ist: Seit der Eröffnung haben sich in der Umgebung zahlreiche Galerien angesiedelt, und insgesamt wirkt die Gegend auf mich deutlich belebter als vorher.
Vielen Dank für das Gespräch.
Am vorletzten Tag der Munich Creative Business Week veranstaltete Bauwerk Capital in Kooperation mit den Neuen Werkstätten in deren Showroom am Promenadeplatz einen Pecha Kucha-Abend: 20 Bilder à 20 Sekunden Vortragszeit, so die Regeln – für jeden Referenten immer wieder eine Herausforderung, geht es doch darum, das Publikum in 6 Minuten und 40 Sekunden „ins Bild zu setzen“.
10 Vorträge 10 Themen, 200 Bilder
Thema des Abends war „Architektur – Land ohne Grenzen“, und der Begriff „Grenzen“ verband denn auch alle Vorträge der dazu eingeladenen Experten aus Architektur, Design, Film und Raumfahrt – wobei es fallweise um ihre Überschreitung, Wegfall oder Einhaltung ging.
Unter dem Titel „Räumliche Grenzen im grenzenlosen Raum“ sprach Dennis Lehnert, Teilnehmer des „Wettlaufs zum Südpol“ über seine Erlebnisse in der unendlichen Weite dieser extremen Landschaft – und den direkten Gegensatz: die begrenzende Enge seiner temporären Unterkunft, einem kleinen Zelt.
Professor Roland Dieterle, der Gründer und Geschäftsführer von „spacial solutions“, berichtete über die Grenzen, die er bei Planungsvorhaben in Afrika überschreiten musste– persönliche, fachliche und kommunikative.
Thomas Dirlich, der nach seinem Architekturstudium derzeit an seiner Promotion in Astronautics arbeitet und seit 2004 u. a. an der TU München Bemannte Raumfahrt lehrt, sprach über die begrenzten Räume einer Raumstation im weiten Weltall und welche, oft sehr speziellen Lösungen, dort für ganz alltägliche Situationen gefunden werden müssen.
Johannes Schele zeigte die vielfältigen Visionen seines Büros „moreplatz“ für München und brachte das Publikum mit seinen Vorschlägen zur innerstädtischen Verdichtung zum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken.
Professor Andreas Notter und Christina Huber griffen das Thema „Grenzen“ dagegen sehr direkt auf und machten anhand von faszinierenden Architekturfotografien deutlich, dass Grenzen im Sinne von Einschränkungen, ebenso wie grenzenlose Freiheit, auf den Menschen positiv wie auch negativ wirken können.
Der Vortrag von Dominic Schindler, dem österreichischen Produktdesigner, stand in enger Beziehung zur Fragestellung der MCBW, inwieweit Design unser alltägliches Leben bestimmt. Die von ihm gezeigten Beispiele machten deutlich, wie uns gutes Design in jedem Lebensbereich stärker beeinflusst als wir denken – und unsere Kaufentscheidungen maßgeblich steuert.
Anschließend überzeugte Regine Geibel auch den letzten Skeptiker vom Nutzen des Internets und der elektronischen Kommunikationsmedien: von Flashmob-Aktionen, die mit Twitter zum „Gruppenküssen“ aufriefen, über die neuen Möglichkeiten, die sich über Crowdfunding ergeben, bis hin zu den aktuellen politischen Umwälzungen im Nahen Osten, die ohne das Internet nicht möglich geworden wären – ein Plädoyer für die grenzenlose Kommunikation.
Markus Bachmaier schließlich sprach sich in seinem Vortrag dafür aus, sich von Kindern anregen zu lassen, die kreativ und unvoreingenommen spielerisch und unkonventionell Lösungen für Design und Architektur finden, und Szenenbildner Professor Toni Lüdi erlaubte dem Publikum einen Einblick hinter die Kulissen der Filmbranche, wo die Grenzen der realen Welt durch vielerlei Tricks und Mittel verwischt werden.
Als letzten Vortrag konnten die Gäste einige der durch ihre schlichte Schönheit beeindruckenden Fotografien der Serie „Berghütten und Passstraßen“ von Simone Rosenberg sehen. Für deren Aufnahmen hatte sie mehr als einmal ihre persönlichen Grenzen überschritten, um die oft entlegenen und unwegsamen Schutzhütten zu erreichen.
Im Anschluss daran hatten die Gäste die Möglichkeit, die aktuell in den Neuen Werkstätten gezeigte Ausstellung “Vitra mit Ronan & Erwan Bouroullec“ zu besichtigen und bei einem Glas Wein oder Prosecco ihre Fragen an die Referenten zu stellen.
Am Donnerstagabend, 12. Januar, eröffneten Oberbürgermeister Christian Ude und Stadtbaurätin Prof. Dr. (I) Elisabeth Merk die diesjährige Ausgabe von „Zukunft findet Stadt“ in der Rathausgalerie, und „tout Munich“ war in die ehemalige Kassenhalle gekommen.
In seiner Eröffnungsrede hob Christian Ude den städtischen Bestand von 62.000 Wohnungen hervor – eine Errungenschaft weitsichtiger Stadtpolitiker aus den 1920er Jahren: Der sei zwar weit entfernt, sich mit den sechsstelligen Zahlen des Wiener Gemeindebaus messen zu können, aber im Gegensatz zu vielen Städten nicht nur in den neuen Bundesländern habe München immer der Versuchung widerstanden, städtische Wohnungen zur Haushaltskonsolidierung heranzuziehen und zu privatisieren. Wie sich zuletzt am Beispiel von Dresden gezeigt habe, gehe damit ein wichtiges politisches und soziales Steuerungsinstrument verloren.
Dabei hat auch in München der Wohnungsmangel Tradition: In den letzten 100 Jahren blieb das Angebot an Wohnraum, abgesehen von kurzen konjunkturell bedingten Ruhephasen wie nach 1972 und zuletzt 2002 kontinuierlich hinter der Nachfrage zurück. Immerhin hat die Landeshauptstadt seit 1989, dem Start von „Wohnen in München“,115.000 Wohnungen fertig gestellt, und für die mittlerweile fünfte Auflage des Programms steht bis 2016 die stolze Summe von EUR 800.000.000,00 zur Verfügung – in Worten achthundert Millionen.
Darin liegt allerdings auch eine der zentralen Herausforderungen für die kommenden fünf Jahre: Dafür zu sorgen, dass die vom Stadtrat bewilligten Mittel auch abfließen, dass also die dem kommunalen Fördermittelbudget zugrunde liegende Zielzahl von Wohnungen: 3.500 Wohneinheiten pro Jahr, davon 1.800 gefördert, auch gebaut wird – was in der Vergangenheit meist nicht der Fall war.
Das hat laut Christian Ude damit zu tun, dass vor allem der frei finanzierte Wohnungsbau hinter den angestrebten Zielen zurückblieb. Dabei wurden 2011 insgesamt 8.419 Baugenehmigungen erteilt, davon 7.546 für Neu- und 873 für Umbauten, so dass die Zielzahlen des Stadtrats in den nächsten Jahren sogar übertroffen werden könnten, wenn die genehmigten Wohnungen auch gebaut würden. Auf jeden Fall liege es nicht am fehlenden Baurecht oder den fehlenden Baugenehmigungen.
Das beherrschende Thema 2011, so der Oberbürgermeister, seien aber nicht die über 2.000 rückgängig gemachten Fälle der Zweckentfremdung von Wohnraum gewesen, sondern die Gentrifizierung – mit zum Teil absurden Zügen: Die Klage darüber, „dass eine Barackenkneipe 34 vermutlich teuren Wohnungen weichen musste“, sei, so Ude, absurd, wenn im Zusammenhang mit dem Abriss der Schwabinger 7 „von der Stadt verlangt wurde, drohenden Wohnungsbau in einer Filetlage nahe der Münchner Freiheit zu verhindern, damit dort – trotz aller Wohnungsnot – eine Idylle bewahrt wird.“ Die Debatte darüber, wie viel städtisches Flair der Dynamik der Entwicklung zum Opfer fallen darf und muss, habe aber eine seriöse Antwort verdient.
Mit diesem kleinen Seitenhieb eröffnete der Oberbürgermeister die vom PlanTreff unter der Redaktion von Christian Fuchs konzipierte Ausstellung. Von QS2M gewohnt souverän präsentiert, beschäftigt sie sich nicht nur mit den großen Neubauprojekten wie Freiham Nord oder der Südseite, sondern auch mit Themen wie barrierefreiem und familiengerechtem Wohnen, der Mischung von Wohnen und Arbeiten, aktuellen Nachverdichtungsprojekten der städtischen Wohnungsbaugesellschaften, neuen Chancen für Wohnungsbau auf ehemaligen Gewerbeflächen, Nachhaltigkeit und Solarenergie sowie - erstmals in dieser Ausführlichkeit – mit der Rolle der Baugemeinschaften und der neu gegründeten Wohnungsbaugenossenschaften: Ein Statement, auf das letztere lange gewartet haben.
Das Bauhaus im Vitra Design Museum. Gestalter, Konsument, Formen der Teilhabe
Nach Einzelausstellungen von Bauhauskünstlern wie Marcel Breuer (Bauwelt 46.2003) und Gerrit Rietveld (Bauwelt 25.2012) widmet das Vitra De- sign Museum nun der Institution Bauhaus eine Ausstellung. Der etwas modische Titel bezieht sich auf den Anspruch des Bauhauses, einen neuen Typus von Gestalter auszubilden: Die Studierenden sollten nicht nur Produkte entwerfen, sondern auch neue Formen und Strukturen des Zusammenlebens und -arbeitens. Die Gesellschaft als Ganzes waren eine Frage der Gestal- tung. Aus diesem (Selbst-)Verständnis heraus war alles gestaltbar. So ist es kein Zufall, dass „#alles- istdesign“ an Joseph Beuys’ „Jeder Mensch ein Künstler“ erinnert. Kuehn Malvezzis Ausstellungs- design – eine Mischung aus Holzregal und Baugerüst – ist dagegen betont unspektakulär. In kollektiver Erinnerung geblieben sind die Entwürfe der ersten deutschen Hochschule für Gestaltung als funktional, geometrisch, industriell
– und etwas unterkühlt. Dafür stehen idealtypisch die Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer und Mies van der Rohe oder die Schreibtischleuchte von Wilhelm Wagenfeld. Hier setzt Kuratorin Jolanthe Kugler an: Sie will das Bauhaus-Klischee widerle- gen, was ihr mit der Wagenfeld-Leuchte ganz beiläufig gelingt – sie ist weder funktional, noch industriell herstellbar, noch günstig. „Sie war schon damals wahnsinnig teuer, wird auch heute noch größtenteils manuell hergestellt, und wenn Sie mal versuchen, ein Buch drunter zu lesen, kriegen Sie bald Augenweh.“
Darüber hinaus will #allesistdesign zeigen, dass das Bauhaus weit aus mehr Facetten hatte als die allseits bekannten Design-Ikonen: „Eigentlich“, so Jolanthe Kugler, „gibt es nicht ein Bauhaus, sondern viele Bauhäuser. Obwohl das Bauhaus eingehend erforscht scheint, bewahrt es sich durch seine Vielschichtigkeit doch eine gewisse Unschärfe. Auch wenn es eine beeindruckende Produktivität an den Tag legte, blieb es doch in erster Linie eine Idee, eine orientierende Fiktion, ein utopisches Ganzheitsstreben.“ Deshalb zeigt die Ausstellung das Bauhaus nicht als Stil, sondern als Idee und als eine neue Art zu denken. Dazu ist #allesistdesign in vier Kapitel unterteilt: Saal 1, #create thecontext, beleuchtet die zeitgeschichtlichen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Gründungsphase, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs: Arbeitslosigkeit, Reparationszahlungen, Inflation. In dieser Situation startete Walter Gropius mit dem Bauhaus „eines der großen sozialen Experimente der Moderne“
Auf dem Weg zu einer der bedeutendsten Kulturinstitutionen Worin dieses Experiment bestand, thematisiert Saal 2, „#learnbydoing“: Dualität von Theorie und Praxis, von Kunst und Technik – die Studie renden erhielten eine handwerkliche Ausbildung und theoretischen Unterricht, die Werkstätten waren in Lehrwerkstätten und Versuchs- und Produktivwerkstätten aufgeteilt. Man wollte nicht nur Schule, sondern auch Forschungslabor und Produktionsstätte sein. Letzteres gelang erst nach dem Wegzug aus Weimar: Marcel Breuers Stahlrohrsessel „B3“ entstand in Kooperation mit Junkers & Co. in Dessau. Das dritte Kapitel, #thinkaboutspace, untersucht Raumkonzepte und -vorstellungen. Sie reichen von der Baustelle – unter Hannes Meyer als Direktor beschäftigte sich das Bauhaus mit Themen wie der „Wohnung für das Existenzminimum“ und kollektiven Produktionsprozessen – über die Bauhausbühne bis zum Tanz. Die Ausstellung zeigt Zeichnungen von Paul Klee, Raumbilder von Josef Albers, Bühnen bildentwürfe von Roman Clemens und die Planungen von Hinnerk Scheper für die Galerie „Neue Kunst Fides“ in Dresden. Farbe – die Legende der „weißen Moderne“ entstand durch das Medium der Schwarz-Weiß-Fotografie – war dabei ein Mittel der Raumgestaltung, das auch auf das psycho-physischen Wohlbefinden wirkt.
#communicate schließlich geht der Frage nach, wie es dem Bauhaus – eigentlich ein mehr oder weniger zerstrittener Haufen von Bauhäuslern unterschiedlicher Couleur – gelang, zu einer der bedeutendsten Kulturinstitutionen des 20. Jahrhunderts zu werden: Sie beherrschten die Klaviatur der Kommunikation virtuos und nutzten dafür alle Medien, von Ausstellungen, Broschüren und Katalogen über die Reihe der „Bauhausbücher“ und einer eigenen Zeitschrift bis hin zur Fotografie und Typografie. Erich Consemüler, Lucia Moholy, Walter Peterhans waren Pioniere des „Neuen Sehens“, Josef Albers, Herbert Bayer, László Moholy-Nagy beschäftigten sich intensiv mit der Schrift als dem wichtigsten Element der Mitteilung. Last not least stellt die Ausstellung das Bauhaus in den Kontext von heute, um seine Relevanz für die Gegenwart herauszuarbeiten. Der vom Bauhaus entwickelte Gestaltungsbegriff hält, so Jolanthe Kugler, „eine Vielzahl von Möglichkeiten und Ansätze für das 21. Jahrhundert bereit“. Die Parallelen sind frappant: Auch heute sind wir mit umwälzenden gesellschaftlichen Veränderungen konfrontiert, und Arbeiten wie Van Bo Le-Mentzels „Hartz IV“-Möbelprogramm speisen sich ebenso aus der Tradition des Bauhauses, wie die „Maker“-Bewegung oder die von den Sozialen Medien getriebene „Share Economy“ – es geht um die Neudefinition der Rollen von Gestalter und Konsument und um neue Formen der Teilhabe.
Das Bauhaus #allesistdesign Vitra Design Museum, Charles-Eames-Straße 2, 79576 Weil am Rhein www.design-museum.de
Bis 28. Februar 2016; vom 1. April bis 14. August 2016 in der Kunsthalle Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4, 53113 Bonn
Franz Hart erbaute 1964/65 am Salvatorplatz im historischen Stadtkern von München eine öffentliche Parkgarage. Berücksichtigt man, dass Neubauten in der Münchner Innenstadt meist einer traditionellen Gestaltung verpflichtet waren, ist Harts Umgang mit der historischen Substanz zukunftsweisend. Mit der Aufstockung der Garage 2006 durch den Münchner Architekten Peter Haimerl und der gleichzeitigen Instandsetzung durch das Architekturbüro Schmidt-Schicketanz und Partner ist das denkmalgeschützte Gebäude für die Zukunft gerüstet. Dabei beeindruckt vor allem die Arbeit Haimerls.
Die Aufstockung der Salvatorgarage, die gegenüber dem Bestand ebenso eigenständig auftritt, wie sie ihn respektiert, hat Aufsehen erregt und erhielt mehrere Auszeichnungen: Auf den Preis für Stadtbildpflege der Landeshauptstadt München (2010) folgten u. a. die Nominierung für den BDA-Preis Bayern und der Preis für Denkmalschutz und Neues Bauen 2010. Über Letzteren freute sich der Münchner Architekt Peter Haimerl besonders, «weil es sich dabei wohl um die erste realisierte computergenerierte Fassade in Europa handelte – und dann ein Preis für Denkmalschutz», so Peter Haimerl.
Der Standort des Parkhauses inmitten der Münchner Altstadt zählt damals wie heute zu den städtebaulich anspruchvollsten in München. Die Parzelle Salvatorplatz 3 grenzt nicht nur an Teile des Jungfernturms von 1430, sondern auch an einen der wenigen erhaltenen Reste der mittelalterlichen Stadtmauer und an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Darüber hinaus steht der Grossteil der näheren Umgebung unter Denkmalschutz: unter anderem das Literaturhaus (Friedrich Löwel, 1887), die spätmittelalterliche Salvatorkirche (Lukas Rottaler, 1493/94), die Bauten der – mittlerweile unter UniCredit firmierenden – HypoVereinsbank in der Prannerstrasse (François Cuvillés d. Ä., 1735–1740) und in der Kardinal-Faulhaber-Strasse (Enrico Zucalli, 1693/94) sowie das Erzbischöfliche Palais (François Cuvillés d. Ä., 1733–1737) (Abb. 1). Vom obersten Parkdeck blickt man auf die Türme und die Dachlandschaft der Frauenkirche.
Einbettung in ein diffiziles Umfeld
In diese sensible Nachbarschaft setzte Franz Hart seinen markanten Neubau, der zum Salvatorplatz mit einem einbündigen Bürotrakt abschliesst. Dabei respektierte Hart bei allem Bekenntnis zur Gegenwartsarchitektur den umgebenden Bestand: Die Pfeilergliederung der Fassade orientiert sich an der gegenüberliegenden Salvatorkirche, die Wahl des Fassadenmaterials an der unmittelbar angrenzenden Stadtmauer. Charakteristisch für das äussere Erscheinungsbild der Salvatorgarage ist neben den versetzt angeordneten Lüftungsschlitzen mit hochkant eingestellten Lochziegeln vor allem das Fugenbild des mit Dünnformatsteinen im Quartverband ausgeführten Mauerwerks. Dabei wird jeder zweite um einen halben Stein versetzt – ein ornamentales Detail, das laut Peter Haimerl auf den ersten Blick gar nicht so recht zu Hart passen will (vgl. Kasten S. 24), das aber eine enorme Präsenz entfaltet und in Hinblick auf den umgebenden Kontext seine Logik erhält. Als die Salvatorgarage nach 40 Betriebsjahren instand gesetzt werden musste – der Zahn der Zeit hatte vor allem in Form von Streusalzeintrag in die Gebäudestruktur an ihr genagt –, verband die Bauherrschaft die anstehenden Arbeiten am mittlerweile unter Denkmalschutz stehenden Parkhaus mit einer Aufstockung um fünf Halbgeschosse und 135 zusätzliche Autoparkplätze. Dabei war die Fassade im Bezug auf die historische Umgebung und das Bestandsgebäude von grosser Bedeutung. Die Instandsetzung des Bestands übernahm das Büro Schmidt-Schicketanz und Partner, von dem auch die Lichtinstallation an der Einfahrt und das Wegeleitsystem im Inneren des Parkhauses stammen. Das Gutachterverfahren für die über eine zweite Rampe erschlossene Aufstockung konnte Peter Haimerl für sich entscheiden.
Fassade der Aufstockung
Die Stahlkonstruktion wächst aus der vorgesetzten Backsteinfassade des Altbaus förmlich empor. Haimerl plante dafür eine brandschutzbeschichtete (F30) Stahlkonstruktion mit Stahlbetonverbunddecken, die auf den Pfeilern des bestehenden Tragwerks – eines Stahlbetonskeletts – aufsetzt. Dessen arabeskes Fugenspiel übersetzte Peter Haimerl mit Gero Wortmann (Programming), München, in eine vom Bestandsgebäude abgerückte, vorgehängte Fassade aus 15000 identischen, 30mm dicken, feuerverzinkten Rechteckprofilen in der Breite der Dünnformatziegel. Der Entwurf kontrastiert die Schwere von Franz Harts Backsteinfassade und orientiert sich gleichzeitig an den Proportionen und der massstäblichen Struktur des Bestands – weshalb ihn auch die für den Denkmalschutz zuständige Stadtgestaltungskommission von Anfang an mittrug. Konstruktiv vereint diese Lösung mehrere Vorteile: So ist die Stahlfassade stabil genug, um auf Leitplanken als Anprallschutz verzichten zu können; jede der 8.50 m hohen und 2.50 m breiten Fassadentafeln kommt mit nur zwei Befestigungspunkten pro Deck aus. Zudem erlaubten die vorgefertigten und untereinander unverbundenen Elemente auf der Baustelle eine rasche und kostengünstige Montage mit dem Autokran.
Die Fassade bildet eine transparente Hülle, die sich als umlaufendes Band um die gesamte Aufstockung legt. Ihr netzartiges Geflecht verdichtet sich auf Brüstungshöhe und zu den Befestigungspunkten an den Geschossdecken der neuen Parkdecks. Das auf diese Weise entstehende Muster – es erinnert an Mikadostäbchen – ist jedoch weder zufällig entstanden noch als rhythmisches Arrangement auf herkömmliche Weise «entworfen», sondern computergeneriert und streng regelbasiert: Die 1.50 m langen Stahlstäbe treffen stets im Winkel von 11.5° oder einem Vielfachen davon aufeinander. Für die Berechnung der Fassade im Computer nutzten Peter Haimerl und Gero Wortmann «Povray». Das Open-Source-Rendering-Programm, mit dem sie bereits seit 2001 arbeiten, fütterten sie für die Salvatorgarage mit Parametern von selbstorganisierenden Strukturen und Wachstumsprozessen aus der Natur. Die so generierten Informationen wurden für den Zuschnitt der Fassadentafeln als Datei direkt an den Stahlbauer gesendet, wo die 64 – aneinandergereiht fast 900 m langen – Elemente mit CNC-gesteuerten Plasmaschneidgeräten innerhalb von vier Wochen produziert wurden. Das Ergebnis, so die Jury für den BDA-Preis Bayern 2010 seinerzeit, «ist ein Garten für Autos über den Dächern von München: ein technischer, paradiesischer Ort in ornamentalem Funktionalismus üppig und gleichzeitig industriell gestaltet».
Weniger poetisch formuliert, realisiert die Salvatorgarage architektonische Qualität dort, wo wir uns mittlerweile daran gewöhnt haben, sie nicht zu erwarten: im Bereich der innerstädtischen Verkehrsarchitektur. Und damit führt Peter Haimerl das weiter, was Franz Hart seinerzeit bereits erkannt hatte. Die Aufstockung der Garage steht so beispielhaft für eine Instandsetzung, die eigenständig und undogmatisch an das Bestehende anknüpft, der historischen Substanz jedoch den nötigen Raum lässt.
Das Irritierende für den Betrachter ist, dass er stets im Ungewissen bleibt, ob er Neo Rauchs Szenerien „richtig“ dechiffriert hat, oder, was noch irritierender wäre, ob es überhaupt etwas zu dechiffrieren gibt.
Wie kaum ein anderer Maler seiner Generation findet Neo Rauch, der Wegbereiter der „Neuen Leipziger Schule“, internationale Anerkennung: Weltweit bemühen sich Sammler und Museen um seine Werke, und Ausstellungen finden vorzugsweise als Retrospektiven statt. Anlässlich seines 50. Geburtstags widmen ihm die Pinakothek der Moderne in München und das Museum der Bildenden Künste Leipzig unter dem Titel „Begleiter“ gleich eine Doppel-Schau; jeweils mit in der Mehrzahl großformatigen Arbeiten, die in Europa erstmals zu sehen sind – sie waren direkt von der Staffelei in Privatsammlungen nach Übersee gegangen. Was zunächst auffällt, ist, wie Neo Rauch seinen Malstil kontinuierlich weiterentwickelt hat: Während die Arbeiten der 90er Jahre noch eher flächig und überwiegend in den „Maschinenfarben“ Lindgrün, Mennigerot, Stahlblau und in Sanitärweiß gehalten sind, gleicht der Bildaufbau nach 2001 zunehmend einer tief gestaffelten Bühne, und die Palette der Renaissance hält peu à peu Einzug – eine Ausnahme bilden eigentlich nur die drei Monumentalformate „Das Blaue“ (2006), das in beinahe fluoreszentem Schwefelgelb gehaltene „Kalimuna“ (2010) und das rostbraune „Übertage“ (2010).
Rauchs Personal hat gleichfalls gewechselt: An die Stelle seiner (post-)sozialistischen Helden der Arbeit, welche die frühen Tableaus bevölkern, treten mehr und mehr Figuren des deutschen Biedermeiers und der Romantik, deren Posen seltsam eingefroren und überdreht wirken. Dabei ist die Szenerie insbesondere der neueren Arbeiten ebenso anheimelnd wie verunsichernd, und bereits der zweite Blick lässt stutzen: Die Perspektiven schachteln sich in- und übereinander, der Malstil wechselt abrupt, und inmitten von scheinbar banalen Alltagsszenen ereignen sich surreale Dinge.
Auch wenn für Neo Rauch „Verstehen der Tod eines Bildes“ ist, lassen sich seine absichtsvoll rätselhaften Gemälde durchaus lesen: Wie der Kunsthistoriker und Kunstvermittler Jochen Meister, der Führungen durch die Münchner Ausstellung anbietet (www.neo-rauch-verstehen.de), betont, sind die Bildgeschichten zwar mehrfach codiert, beschäftigen sich aber stets sowohl mit Rauchs eigener Biographie als auch mit der Frage nach dem künstlerischen Stellenwert der Generation seiner Lehrer (Arno Rink und Bernhard Heisig) an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst – wo Neo Rauch 2005–09 selbst ordentlicher Professor war.
Äußerst detailgetreu bildet Neo Rauch die typischen Bauten seiner mitteldeutschen Heimat ab – Markkleeberger Villen ebenso wie Leipziger Vororthäuser und Nachwendetreppenhäuser, das Kriminalpanoptikum und das Rathaus Aschersleben (Die Vorführung, 2006) ebenso wie Bergbaulandschaften (Kalimuna) und die industriellen Hinterlassenschaften der DDR. Aber auch sie sind mehrfach codiert: Was in „Fastnacht“ (2010) wie ein orthodoxes Holzkirchlein aussieht, ist bei näherem Hinsehen das – von Goethes Gartenhaus aus sichtbare – Torgebäude des Konzentrationslagers Buchenwald, die Sternwarte in „Das Blaue“ verweist auf den Tübinger Hölderlinturm und die blaue Blume der Romantik, derSchriftzug „Muna“ dagegen auf die Heeresmunitionsanstalt, in der seine Großmutter während des Krieges unter Tage MG-Patronen montieren musste.
Parkhäuser sind die Rabenkrähen unter den Bauaufgaben: Man hätte die nervigen, uneleganten Objekte am liebsten vom Feld. Um dem Klischee entgegenzuwirken, hat die Stadt Augsburg einen Wettbewerb für ein Park+Ride Parkhaus ausgelobt. Es soll den Eingang in einen neuen Stadtteil markieren, der momen tan auf dem Gelände der ehemaligen SheridanKaserne entwickelt wird. Südwestlich der Innenstadt liegt eines von drei Kasernenarealen in Augsburg: die Sheridan-Kaserne. Hier lebten bis 1998 amerikanische Soldaten und ihre Angehörigen. Mit dem Abzug der ehemaligen Besatzungsmacht stellte sich die Frage der zivilen Nachnutzung des 70 Hektar großen Geländes. Seit 2001 hat das Stadtplanungsamt mehrere Wettbewerbe und Planungsworkshops veranstaltet. Vorrangiges Ziel war dabei die Eingliederung in das Stadtgefüge und die Beteiligung der Bürger. Ein Bebauungsplan für das Wohn- und Gewerbegebiet, für den sogenannten SheridanPark, trat vergangenes Jahr in Kraft. Ausgewiesen sind darin ein Gewerbe- und Mischgebiet für rund 4000 Arbeitsplätze im Westen und ein Wohngebiet für 2000 Bewohner im Osten. Ein großer Landschaftspark durchzieht das Gebiet von Nord nach Süd. Ausgewiesen sind auch ein Nahversorgungszentrum im Norden an der Straßenbahnhaltestelle und ein Parkhaus. Mit gebührenfreien Stellplätzen möchte die Stadt den Parksuchverkehr eindämmen, der sich aufgrund des nahegelegenen Eingangs zum Westfriedhof in das Viertel verlagern würde, und Pendlern die Möglichkeit geben, mit der Straßenbahn in die Stadtmitte zu fahren.
„Großzügig befahrbar, hell, übersichtlich, luf tig und weitgehend stützenfrei“, lauteten die Anforderungen an die Wettbewerbsteilnehmer, die zudem Fahrradstellplätze unterbringen und einen Vorplatz gestalten sollten. Für das eher schmale Grundstück gab es unter den 37 eingereichten Arbeiten verschiedene Rampen- und Ebenensysteme. Lehmann Architekten, Offenburg (1. Preis), schlagen einen Baukörper vor, bei dem die Führung der Rampe von außen deutlich ablesbar ist. Die Jury unter Vorsitz von Ludwig Wappner überzeugten vor allem die „klare und ästhe tisch sehr ansprechende senkrechte Holzlamellenstruktur“ der Fassade und die großzügige Gestaltung des Vorplatzes. Karl und Probst, München (2. Preis), akzentuieren ihre dreigeschossige Garage im Norden, zur Stadtberger Straße hin, durch einen Erschließungsturm und begrünen sie an den Längsseiten. Das Preisgericht allerdings bemängelte den hohen Pflegeaufwand und dass die vorgeschlagene „Vollberankung optisch erst nach einigen Jahren zur Geltung kommen“ werde. Pussert Kosch Architekten, Dresden (3. Preis), trennen Parkdecks und Rampe durch eine Lichtfuge und planen viergeschossig, mit einer Fassade aus horizontalen eloxierten Aluminiumprofilen. Dem Preisgericht erschien die überbaubare Grundstücksfläche aber nicht optimal genutzt. Auch seien die Abmessungen der Behindertenstellplätze zu klein, ebenso wie die Radien der Erschließungsrampe und die Fahrgassenbreiten.
Nicht wenige Fotografen sind durch eine einzige Aufnahme bekannt geworden. Viele der Bauhaus-Fotografen waren solche „One Shot Photographer“. Julius Shulman wurde hingegen als „Mr. One Shot“ berühmt, weil er jedes Motiv nur ein einziges Mal abgelichtet haben soll. Bereits auf seinen frühen Aufnahmen von „namenlosen“ Architekturen wie Brücken, Tankstellen und Wassertürmen ist sein „perfekter Blick“ (Daniel Bartetzko) zu erkennen. Seit den 30er Jahren arbeitete Shulman für die Heroen der kalifornischen Moderne. Nachdem er die letzten beiden Jahre des Zweiten Weltkriegs als Fotograf bei der U.S. Army zugebracht hatte, konnte er nahtlos an seine Vorkriegskarriere anknüpfen: Der Bauboom der Nachkriegszeit fiel mit der Blütezeit der kalifornischen Moderne zusammen, und John Entenza startete sein Projekt der „Case Study Houses“. Das von Entenza herausgegebene Magazin „Art & Architecture“ ermöglichte es der Architekturfotografie, die Grenzen der Architekturfachzeitschriften hinter sich zu lassen.
Heute ist der Mitbegründer der Architekturfotografie Julius Shulman nicht nur eine lebende Legende und der letzte Vertreter seiner Generation, sondern auch mit 97 Jahren noch längst nicht im Ruhestand. Zwar war er zur Eröffnung seiner Ausstellung – sie ist eine Übernahme der Frankfurter Schau von 2005 aus dem Deutschen Architekturmuseum (Heft 43.05) – nicht in München, wir konnte mit Julius Shulman jedoch ein Fern-Interview per E-Mail führen.
Sie gelten als „Self-educated Photographer“. Aber sicher hat Sie trotzdem jemand beeinflusst.
Ich habe 1926 mit 16 Jahren und einer Kodak Box Camera angefangen zu fotografieren: Ich hatte ei¬nen Kurs über die Grundlagen der Fotografie belegt und ging zum Hürdenrennen meiner High School ins Los Angeles Colliseum. Das Foto, das ich dort gemacht habe, von einem Standpunkt oberhalb der Startblöcke, gilt mit seiner ungewöhnlichen Perspektive immer noch als eine der besten Aufnahmen eines Hürdenrennens. Die Arbeit von Kollegen – viele davon gab es ohnehin noch nicht in den 30er Jahren – hat mich nie wirklich beeinflusst; wohl aber der Gedankenaustausch mit vielen der Architekten, für die ich gearbeitet habe. Meine Entwicklung verlief ja ab 1936 parallel zur Karriere der Vertreter der kalifornischen Moderne: Vor allen anderen Richard Neutra, aber auch Gregory Ain, J.R. Davidson, Albert Frey, Harwell Harris, Pierre Koenig, Rudolph M. Schindler und Raphael Soriano. Außerdem verdanke ich meiner Kindheit – ich bin auf einer Farm in Connecticut aufgewachsen und habe als Pfadfinder viel Zeit in der Natur verbracht – wahrscheinlich das Verständnis für Licht und Maßstab.
Was hat Ihnen Ihr Studium gebracht?
In den sieben Jahren, die ich an der Universität verbracht habe, habe ich Kurse besucht, die mich persönlich interessiert haben. Als ich per Zufall Richard Neutras „Kun House“ fotografierte, gefielen ihm die Aufnahmen so gut, dass er mich vom Fleck weg engagierte und weiterempfahl. Insofern brauchte ich kein Studium.
Welche Rolle spielten die Magazine und die Wochenendbeilagen der Tageszeitungen für Ihre Arbeit?
„Publicity“ war von Anfang an ein wichtiger Aspekt meines Erfolgs: Die meisten meiner Arbeiten wurden in Publikumszeitschriften veröffentlicht. Damit erreichten meine Fotos eine Leserschaft, die sich eigentlich nicht für moderne Architektur interessierte. Über diese Magazine wurde die klassische Moderne als begehrenswert inszeniert und verbreitet, und nicht wenige Architekten verdanken ihren Erfolg meinen Fotos. Wahrscheinlich habe ich mehr Architektur verkauft als die meisten von ihnen zusammen.
Wie haben Sie jene Architektur „verkauft“, die nicht in Magazine wie „Arts & Architecture“ passte?
Meine Kunden waren nicht nur Architekten, die Wohnhäuser gebaut haben, ich habe auch Schulen, Bibliotheken, Kirchen und Fabriken fotografiert, die dann in der Fachpresse veröffentlicht wurden.
Mit welchen Kameras arbeiten Sie?
Ich begann meine Laufbahn mit einer Kodak Vest Pocket Camera. Später habe ich mir eine 4“ x 5“ Fachbodenkamera von Sinar gekauft, die komplett verstellbar war, und seit mittlerweile 70 Jahren arbeite ich mit Sinar.
Warum haben Sie sich Mitte der 80er Jahre aus dem Berufsleben zurückgezogen, und was war der Grund für Ihr „Comeback“ zusammen mit ihrem heutigen Partner Jürgen Nogai?
Damals bekam ich unglaublich viele Anfragen von Verlagen, und die Arbeit an den diversen Buchpublikationen ließ es nicht zu, nebenbei noch zu fotografieren. Außerdem hatte ich mich daran gemacht, mein Archiv zu ordnen. Als ich – ich glaube, es war 2001 – Jürgen Nogai kennenlernte, habe ich schnell festgestellt, dass es zwischen uns eine gemeinsame Wellenlänge gibt. Also fing ich wieder an zu arbeiten, und wir haben seitdem viel zeitgenössi¬sche Architektur fotografiert.
Benutzen Sie Digitalkameras?
Nein, wir arbeiten seit eh und je analog, unsere Aufnahmen entstehen über die Komposition und die Lichtführung. Digitalfotografie bietet vielleicht viele Möglichkeiten, Layers und Editing-Tools, endet aber meistens in nachbearbeiteten Photoshop-Dateien. Sowohl Jürgen als auch ich können damit nichts anfangen.
Fotografieren Sie lieber in Farbe oder Schwarz-Weiß?
Sowohl als auch: In Bezug auf Ästhetik und Bildsprache kann ich dabei keine fundamentalen Unterschiede erkennen. Während die meisten Magazine heutzutage Farbabbildungen haben wollen, bevorzugen viele Architekten immer noch Schwarz-Weiß. Bei den meisten unserer Aufträge machen wir von je¬der Einstellung Farb- und Schwarz-Weiß-Aufnahmen.
Welche Bedeutung haben Menschen für Ihre Foto¬grafie – außer als Bezugsgröße für die abgebildete Architektur?
Im Œuvre vieler meiner Kollegen vermisse ich den Aspekt, dass Gebäude von Menschen genutzt werden. Bei meiner Arbeit sind Menschen ein wichtiger Teil der Komposition: Sie blicken nicht in die Kamera, sondern sind mit irgendetwas beschäftigt – damit „erwecke ich die Fotografie zum Leben“.
Haben Sie ein Lieblingsfoto?
Nein – ich liebe sie alle.
Visionäre Projekte für die Alpen aus den letzten hundert Jahren werden in der Architekturgalerie München dreidimensional
Dreamland Alps: Schon der Titel – er geht zurück auf den Vergnügungspark „Dreamland“ (1907–1 1) auf Coney Island – macht deutlich: Hier geht es nicht um all das, was man aus der Erfahrung der letzten zehn bis 15 Jahre mit „Bauen in den Alpen“ verbindet. Vielmehr wird anhand der 22 ausgew.hlten Projekte die Geschichte der Alpen und des Alpentourismus „unter dem Prisma des Sublimen“ betrachtet, wie Susanne Stacher von der ENSA Versailles im Katalog schreibt. Der Bogen spannt sich dabei von der „Erfahrung des Erhabenen“ (Edmund Burke, 1757) über das Thema der Alpen als Gegenwelt zur städtischen Zivilisation bis hin zur .berwindung von konstruktiven, topographischen und massentouristischen Grenzen. Dreamland Alps ist eine Ausstellung, die aus einem gemeinsamen Forschungsprojekt der ENSA Ecole Nationale Sup.rieure d’Architecture in Versailles und des Archivs für Baukunst der Universit.t Innsbruck entstanden ist. In der Architekturgalerie München wird sie in Kooperation mit der Bayerischen Architektenkammer und dem Alpinen Museum des Deutschen Alpenvereins gezeigt. Die Ausstellungskapitel tragen .berschriften wie Aufstieg und Fall des Erhabenen, Kristall und Kristallisation, Gefügige Körper oder „Sublimieren“ von 30.000 Betten. Darunter lassen sich so unterschiedliche Bauten und Projekte wie Bruno Tauts Visionen einer „Alpinen Architektur“ (1919), Valerio Olgiatis „Panorama Gornergrat“ (2003) und Andrea Deplazes’ Monte Rosa Hütte (2009) ebenso zusammenfassen wie Adolf Loos’ Projekt eines Wintersporthotels am Semmering (1911), Gi. Pontis Hotel Paradiso im Südtiroler Martelltal (1935), Marcel Breuers Hotel Flaine (1967), Jean Prouv.s unrealisiert gebliebenes Hotel Les Arcs 2000 (1970) – es scheiterte, weil der Investor keinen Betreiber fand – oder Charlotte Perriands Apartment-Gro.komplexe in Les Arcs (1968–1978) und Miroslav Šiks Planungen für Andermatt (2008). Aufwendige digitale Simulationen oder dergleichen gab das Budget nicht her, aber die Kuratoren haben aus der Beschr.nkung eine Tugend gemacht: Wunderbare Modelle aus Graupappe lassen auch die unrealisierten Projekte erstmals dreidimensional werden; die Transportkisten sind als Sockel Teil der Ausstellungsgestaltung geworden. Das Engagement der am Projekt beteiligten Studierenden verdeutlicht vielleicht diese Episode: Weil das für die Schau wichtige Foto von Charlotte Perriand als Rückenakt mit erhobenen Armen und Fausthandschuhen in Versailles nicht auffindbar war, haben sie es kurzerhand nachgestellt. Sp.ter tauchte es im Archiv für Baukunst in Innsbruck doch noch auf – eigentlich schade. Jochen Paul
Dreamland Alps Utopische Projektionen und Projekte in den Alpen Architekturgalerie München, Türkenstraße 30, 80333 München www.architekturgalerie-muenchen.de
Bis 10. April.
Der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern hat seinen Sitz seit 1990 im Schloss Schwerin. Bis 2015 soll das Parlaments im sogenannten Schlossgartenflügel einen neuen Plenarsaal beziehen – und damit als letztes der „neuen Länder“ einen modernisierten Tagungsort für seine Volksvertreter erhalten. Die Sieger des europaweit offenen Wettbewerbs schlagen vor, mit zeitgenössischen Mitteln die Anmutung eines vor rund hundert Jahren ausgebrannten Prunkraums wieder erlebbar zu machen. Im Vergleich zu dem, was sich die Brandenburger bis 2013 in Potsdam vorgenommen haben – einen vollständigen Parlamentsneubau hinter den erst wieder zu errichtenden Fassaden des zerstörten Knobelsdorff’schen Stadtschlosses – muten die Schweriner Pläne bescheiden an. Aufgabe des im Herbst vergangenen Jahres ausgelobten Wettbewerbs war „lediglich“ der Umbau des heutigen Festsaals im Schlossgartenflügel zu einem zeitgemäßen Plenarsaal, die Neugestaltung der angrenzenden Bereiche wie Lobby, Empfangs-, Besucher- und Pressebereich sowie der Umbau des jetzigen Plenarsaals zum Konferenzbereich. Alles unter Berücksichtigung denkmalpflegerischer Vorgaben: Das 1844 bis 1857 von Schinkel-Schüler Adolf Demmler im Stil der französischen Frührenaissance errichtete Schweriner Schloss gilt als eines der bedeutendsten Baudenkmäler des Historismus in Europa, stand ab 1979 auf der Zentralen Denkmalliste der DDR und soll als Ensemble mit dem Alten Garten, dem Burg- und dem Schlossgarten in die UNESCO-Welterbeliste eingetragen werden.
Bitte keinen Luxus
Komplex war die Aufgabenstellung aber dennoch. Der neue Saal sollte den Abgeordneten „gute Arbeitsbedingungen und offene Kommunikationsstrukturen“ bieten, den Besuchern und der Presse gleichzeitig „Bürgernähe und Transparenz gegenüber demokratischen Debatten und Entscheidungsprozessen“ vermitteln und sie „einladen, das Landtagsgebäude als ihr Haus zu betrachten.“ Der letzte Punkt war dem Auslober aufgrund der chronisch angespannten Haushaltslage Mecklenburg-Vorpommerns besonders wichtig: Bloß keine Diskussionen über eine vermeintliche Luxussanierung. Von allen 29 Teilnehmern lösten die Münchner Dannheimer & Joos Architekten die Gemengelage aus Funktionalität und Symbolpolitik am überzeugendsten. Ihr Entwurf erhielt das einstimmige Votum der Jury, die unter Vorsitz von Joachim Brenncke, dem Präsidenten der Architektenkammer Mecklenburg-Vorpommern, tagte. Zentraler Gedanke der ersten Preisträger: Raumvolumen und Wandgestaltung des einst prunkvollen, bei einem Brand im Dezember 1913 zerstörten Goldenen Saals wieder erlebbar zu machen – in zeitgenössischer Formensprache.
Oval oder Kreis – was ist demokratischer?
Dazu reduzieren sie erst einmal den 1972 dort eingebauten Festsaal um den auf der Westseite abgegrenzten Presseraum auf seine ursprüngliche Länge und entfernen auch den 2006 dort eingebauten Aufzug. Der Entwurf übernimmt weitgehend die historischen Fußbodenniveaus, Raumgrößen, Wegebeziehungen und Sichtachsen. Die unterschiedlich dichte Lamellenstruktur der Wandverkleidung greift die ursprüngliche vertikale Gestaltung des Goldenen Saals mit Pfeilern, Pilastern und Kanneluren auf und lässt dabei die Farbgestaltung der hinter ihr liegenden Wände durchschimmern; die horizontale Gliederung soll durch unterschiedliche Lamellenbreiten erzeugt werden.
Als „Rechteck mit Seitentaschen“ wäre der Goldene Saal im Schweriner Schloss durchaus für eine Lösung à la Volker Staabs Bayerischem Landtag im Münchner Maximilianeum prädestiniert gewesen. Die drei gleichrangig platzierten dritten Preisträger entschieden sich denn auch für eine solche ovale Anordnung der Sitzreihen: die Arbeitsgemeinschaft Architekturbüro Unverzagt und Freunde des Hauses aus Wiesbaden in Form eines gedrehten Ovals und einer in den Raum gestellten Freiform aus „wie Lamellen oder Stufen“ geschichteten Platten; Lepel & Lepel aus Köln hingegen entwarfen eine ausgesprochen strenge und zurückhaltende Lösung. Oliver Brünjes aus Saarbrücken, Architekt des dortigen Landtags, schlug einen „gestauchten Kreis“ und eine in den Augen der Jury zu dominante Wandscheibe im Rücken des Präsidiums vor.
Aus dem Grundriss des Goldenen Saals leitet sich allerdings auch schlüssig die Anordnung der Sitzreihen des Plenums in drei konzentrischen Kreisen (mit dem Präsidium auf der Querachse des Schlossgartenflügels gegenüber der Lobby) ab, wie die ersten Preisträger Dannheimer & Joos sie entwickelt haben. Für die Münchner war das nicht nur eine architektonische, sondern auch eine symbolische Frage: Der Kreis erschien ihnen als perfektes Symbol für das Parlament als „höchstes Organ einer demokratischen Gesellschaft.“
Fakten
Architekten Dannheimer & Joos Architekten, München; ARGE Architekturbüro Unverzagt und Freunde des Hauses, Wiesbaden; Lepel & Lepel, Köln; Architekturbüro Oliver Brünjes, Saarbrücken
Von der Serie zur Losgröße eins „Wendepunkte im Bauen“-Ausstellung in München Text: Paul, Jochen, München
„Wendepunkt im Bauen“ nannte Konrad Wachsmann sein 1959 erschienenes Manifest für eine konsequente Industrialisierung des Bauens. Welche Wirkung der Theorieklassiker hatte und wie die Zukunft des seriellen Bauens aussehen könnte, untersucht im Abstand von einem halben Jahrhundert die gleichnamige Ausstellung im Architekturmuseum der Technischen Universität.
„Wendepunkt im Bauen“ nannte Konrad Wachsmann sein 1959 erschienenes Manifest für eine konsequente Industrialisierung des Bauens. Ausgehend von einer ausführlichen Dokumentation des Crystal Palace, den Joseph Paxton 1851 für die Londoner Weltausstellung errichtet hatte, entwickelte Wachsmann die Forderung, den herkömmlichen Baubetrieb nach dem Vorbild der Automobilindustrie durch Vorfertigung der Bauteile in der Fabrik und Montage auf der Baustelle zu ersetzen. Welche Wirkung der Theorieklassiker hatte und wie die Zukunft des seriellen Bauens aussehen könnte, untersucht im Abstand von einem halben Jahrhundert die in Kooperation mit den Lehrstühlen für Tragwerksplanung und Architekturinformatik der TU München erarbeitete Ausstellung „Wendepunkte im Bauen“ im Architekturmuseum der Technischen Universität.
Auch wenn die Arbeiten des 1901 in Frankfurt/Oder geborenen Architekten nach seiner Emigration in die USA 1941 weitestgehend Papier blieben, hat „Wendepunkt im Bauen“ wie kaum eine andere Publikation die Nachkriegs-Architekten beeinflusst. (Allenfalls Robert Venturis „Complexity and Contradiction in Architecture“ von 1966 und Aldo Rossis im selben Jahr erschienene „L’Architettura della Città“ waren von ähnlicher Bedeutung.) Die Wirkung von Wachsmanns Schrift war nicht zuletzt deshalb so enorm, weil er nach dem Scheitern seines ab 1941 mit Walter Gropius entwickelten „Packaged House“-Fertighaussystems – die dafür gegründete General Panel Corporation meldete 1952 nach maximal 200 verkauften Exemplaren Konkurs an – und der Arbeiten an einem modularen System zum Bau von Flugzeughangars für die US Air Force (1944/45) vor allem als Lehrer wirkte, unter anderem am Chicago Institute of Design, an der University of Illinois, der HfG Ulm, der Salzburger Sommerakademie und der University of Southern California.
Die digitale Revolution: Lösung für die Grundprobleme des seriellen Bauens Im ersten Teil der Ausstellung reihen sich die Meilensteine des seriellen Bauens in Form von Modellen, Filmen und Animationen wie auf einem Fließband um Konrad Wachsmanns Flugzeughangar: so erfolgreiche wie die „Balloon Frame“-Bauweise (George W. Snow, 1832), der Münchner Glaspalast (August von Voith, 1853/54), die Zollbauweise (Friedrich Zollinger, ab 1904) und das MERO-System (Max Menge-ringhausen, 1937); frühe Pionierleistungen wie der Tetrahedral-Tower (Alexander Graham Bell, 1907) und die doppelt gekrümmte Gitterschale (Wladimir Grigorjewitsch Schuchow, 1897/98); Ikonen wie Jean Prouvés „Maison Tropicale“ (1949–51), Richard Buckminster Fullers „Dymaxion-House“ (1929) und „Geodesic Dome“ (1952/53) und Renzo Pianos IBM-Pavillon (1982–84); unrealisiert gebliebene wie Helmut C. Schulitz’ Bausystem „T.E.S.T.“ (1976–78) sowie grandios gescheiterte wie die nach zwölf Jahren bereits wieder abgetragene „Metastadt“ Wulfen (Richard J. Dietrich, Fertigstellung 1974/75). Die Plattenbauweise ist mit Halle-Neustadt (Richard Paulick, 1964–1968) und der in „Schwerer Vorfabrikation“ errichteten Siedlung Zürich-Triemli (vonBallmoos Krucker Architekten, 2009–2011) gleich doppelt vertreten.
Der zweite Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit der „digitalen Revolution“ und ihren Folgen: Erst dank computergesteuerter Entwurfs- und Fertigungsmethoden war es möglich, die beiden Grundprobleme des seriellen Bauens – Großserie und Monotonie – zu lösen und individuell gestaltete Formen maschinell zu vertretbaren Kosten herzustellen. Die Kehrseite der mit dem „offenen System“ und der „Losgröße eins“ gewonnenen Freiheit besteht allerdings in dem Hang zur formalen Beliebigkeit: Von den gezeigten Beispielen lässt Museumsdirektor Winfried Nerdinger wohl nur Norman Fosters digital generierte Netzschale des British Museum (1998–2000) als uneingeschränkt positiv durchgehen.
In den 22 Jahren seit Gründung ihrer Bürogemein- schaft haben Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle über 300 Bauten realisiert, darunter 15.000 Woh- nungen. Mittlerweile zählt das Büro zu den weltweit gefragten; aktuell planen die Architekten unter an- derem das E-Science Lab der ETH Zürich, Hochhäu- ser in Peking und Qingdao, sowie Teile der Univer- sität im luxemburgischen Belval (Heft 35). Auch die Liste ihrer Ausstellungsorte wurde in den letzten Jahren zusehends internationaler. Für München haben die Architekten jetzt eine neue Schau konzipiert. Unter dem Titel „Architektur, Menschen und Ressourcen“ widmet sie sich auf 600 Quadratme- tern Ausstellungsfläche ihren Planungen der letzten sechs Jahre. In seiner Eröffnungsrede zitierte Winfried Ner- dinger Dietmar Eberle: „Während sich vom California Freestyle bis zur neuen Grazer oder Tessiner Archi- tektur die Wendung zum Ort in der persönlichen, oft monoman gehandhabten Handschrift von Architekten erschöpfte, entwickelte sich in dem kleinen österreichischen Bundesland Vorarlberg anfangs noch fast unbemerkt eine ortsbezogene moderne Architektur, der es darum ging, ‚Identitäten zu bilden für den Ort, nicht Identitäten für den Architekten’.“
Als Protagonisten der zweiten Generation „Vor- arlberger Baukünstler“ haben Baumschlager und Eberle ihren Teil dazu beigetragen, dass eine derartige Vielfalt an neuer Architektur in dieser Region entstehen konnte. Ausstellungen des Vorarlberger Architekturinstituts und des Kunsthauses Bregenz taten ein Übriges. Für Winfried Nerdinger liegt eines der Erfolgs- geheimnisse von Baumschlager-Eberle in der Mi- schung aus deutlich erkennbarer Pflege der baulichen Tradition, dem sicheren Beherschung des Konstru- ierens mit Holz, dem Einsatz modernster Technik und dem Bemühen um nachhaltige Energieeffizienz. Die Qualität ihrer Achitektur entstehe nicht aus der heute so gängigen Produktion von Bildern, die zu- meist schon im Hinblick auf ihre mediale Verwertung konzipiert werden, sondern durch die präzise Aus- einandersetzung mit dem Ort und der Gesellschaft.
Diese Auseinandersetzung führt bei den Architekten jedoch nicht zu einer „signature architecture“, sondern zu einer von Hannes Meyer beeinflussten, streng rationalen Entwurfsmethodik, die vom Ort ausgeht und quasi von außen nach innen plant – mit dem Ziel, möglichst nutzungsneutrale Gebäude zu entwerfen, deren Flexibilität und Veränderungspoten- zial Langlebigkeit garantieren. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen steht dabei die soziale und kulturelle Akzeptanz des Gebäudes: „Wichtig ist, wer an dem Haus vorbeigeht, und die Frage ist, wie sehr liebt er, akzeptiert er dieses Gebäude“, so Dietmar Eberle in einem Interview mit dem ORF. Zentrales Ziel des Ent- werfens von Baumschlager-Eberle ist also Schönheit, nicht Nutzungserfüllung.
Die Präsentation ihrer Arbeiten ist denn auch ästhe- tisch gelungen: Neben präzise gefertigten Holzmodellen – jedes in einer passgenauen Vitrine – dokumentieren großformatige Pläne die ausgewählten Arbeiten, raumhohe Fotowände gliedern die Ausstellung und trennen die drei Abteilungen „Architektur“, „Menschen“ und „Ressourcen“ voneinander ab. Und jedes Projekt ist vom New Yorker Fotografen Eduard Hueber perfekt in Szene gesetzt. Menschen sucht man auf den großformatigen Farbabbildungen allerdings ebenso vergeblich wie die Aufbruchsstimmung von Dietmar Eberles famosem Erstlingswerk, der Hausgruppe „Im Fang“, in den gezeigten Projekten. Die Siedlung hatte er 1979 noch als Mitglied der „Cooperative Dornbirn“ bis zum Innenausbau in Eigenleistung realisiert. Wahrscheinlich wäre etwas Vergleichbares für eine global operierende Architekturfirma mit über 200 Angestellten und in Kürze sechs Niederlassungen weltweit auch wirtschaftlich nicht mehr vertretbar: Unter den zwischen 2002 und 2007 entstandenen 113 Bauten sind noch ganze zehn Einfamilienhäuser und nur eine Wohnung.
Architekturmuseum der TU München in
der Pinakothek der Moderne | Barer Straße 40, 80333 München | ▸ www.architekturmuse- um.de | bis 13. Januar | Di–So 10–18,
Do 10–20 Uhr
Wohnort: München. Zukunft findet Stadt
Auch die Reichen müssen irgendwohin. Wohnort: München
16. Februar 2007 - Jochen Paul Die Jahresausstellung des Referats für Stadtplanung und Bauordnung widmet sich dieses Mal dem Thema Wohnen und stellt anhand von 17 Projekten das Spektrum des Münchner Wohnungsbaus vor. Dabei reicht die Bandbreite vom genossenschaftlichen bis zum ökologischen Bauen, vom Studentenwohnheim auf der ehemaligen Panzerwiese bis zum Loft in der vormaligen Schaltzentrale der Post, vom Clearinghaus für Obdachlose bis zu Eigentumswohnungen für Wohlhabende. Im Zentrum steht dabei unter dem Slogan „Eigentum bilden, Wohnen fördern“ der Anspruch der Stadt, bezahlbaren Wohnraum für Familien zu schaffen. Die Ausstellung „Wohnort: München. Zukunft findet Stadt“ ist also nicht nur Leistungsschau, sondern gewissermaßen auch ein Stück politisches Vermächtnis der scheidenden Stadtbaurätin Christiane Thalgott – ihre Nachfolgerin Elisabeth Merk übernimmt das Amt im Mai.
Nach dem Wegfall der degressiven Abschreibungsmöglichkeiten entstanden zwischen 1996 und 2005 mit dem „München Modell“ (Ansatzpunkt des Modells ist eine Ermäßigung beim Grundstückspreis) insgesamt 2600 Wohnungen für Familien mit mittlerem Einkommen; die Stadt hat dafür 115,2 Mio. Euro aufgewendet – das entspricht 45.000 Euro pro Wohnung. Und weil der anhaltend hohe Bedarf an geförderten Wohnungen nicht allein im Neubau gedeckt werden kann, soll preisgünstiger Wohnraum langfristig auch durch den Ankauf von Belegungsbindungen an einzelnen freien Wohnungen sowie über den Erwerb von Wohnungsbestand gesichert werden. Zwischen 2007 und 2011 stellt die Stadt insgesamt 625 Mio. Euro für die Wohnungsbauförderung bereit. Soweit die Zahlen und Absichtserklärungen.
Dass bezahlbarer Wohnraum in der Innenstadt für (Durchschnitts-)Familien größtenteils Illusion bleibt, thematisiert „Wohnort: München“ nur indirekt: Allein sechs der gezeigten Projekte liegen am Ackermannbogen in Schwabing-West und in der Messestadt Riem, fünf sogar außerhalb des Mittleren Rings. Obwohl es heute in der Altstadt mehr Wohnungen als 1970 gibt, hat sich die Zahl der Bewohner seitdem von über 14.000 auf etwa 7000 halbiert. 2003 stellten die sogenannten Sinus-Milieus der allesamt gut verdienenden „Etablierten“, „Postmaterialisten“ und „Modernen Performer“ (ihr Anteil an der Bevölkerung beträgt zusammen 29 Prozent) in Bogenhausen, Schwabing und im Zentrum zwischen 40 und 60 Prozent der Bewohner. Der Trend wird sich verfestigen: Die Wohnungen im Alten Hof sind verkauft, im alten Arbeitsamt an der Thalkirchner Straße errichtet die Vivacon Townhouses von Philippe Starck für bis zu 6850 Euro/m2, und die Frankonia Eurobau bewirbt ihre Lenbach-Gärten gleich mit dem Claim „Leben im Geist der Könige.“
Im Begleitheft zur Ausstellung benennt Stadtbaurätin Christiane Thalgott freimütig die Vorzüge der Gentrifizierung: „Die Reichen müssen schließlich auch irgendwohin, warum nicht in die Altstadt? Sonst verdrängen sie die Anwohner aus den Gründerzeitvierteln.“ Sarkasmus, Einsicht in die Realitäten oder Altersmilde? Die Zeiten ändern sich: Noch im Vorjahr (Heft 7.06) wollte man in der Innenstadt der Kommerzialisierung und Privatisierung Grenzen setzen. So mag Wohnen in München denn „innovativ und vielfältig, bezahlbar und qualitätsvoll sein“ – aber nicht überall und nicht alles gleichzeitig.
Umgestaltung des Areals des Süddeutschen Verlages in München
Im Sommer noch hatte die geplante Transformation des SZ-Areals Diskussionen über den Umgang mit 6oer-Jahre-Architektur in München ausgelöst. Dann war es ruhig geworden. Die Entscheidung, ob der „Schreiberbau“, dessen schwarz verglaste Fassade den Kritikern der Moderne nicht mehr ins Stadtbild passt, abgerissen werden soll, überlässt man letztendlich den Investoren.
Bereits Ende September hatten die 13 eingeladenen Büros ihre Arbeiten dem „Beratungsgremium“ aus Architekten, Politikern und Investoren präsentiert. Die Entscheidung fiel einstimmig für den Masterplan der Zürcher Marcel Meili und Markus Peter. Anfang November schließlich stellten Stadtbaurätin Christiane Thalgott und das Investorenteam FOM Real Estate und LEG Baden-Württemberg – sie planen auch den Neubau des Süddeutschen Verlags in Steinhausen (Heft 32)– das Ergebnis offiziell vor.
Die Aufgabe bestand darin, das für die Öffentlichkeit bisher unzugängliche Areal in ein Quartier für Wohnen, Einkaufen, Arbeiten und Freizeit zu verwandeln und dadurch das Hackenviertel am Sendlinger Tor zu stärken. Den Abriss des Verwaltungsgebäudes von Detlef Schreiber, Herbert Groethuysen und Gernot Sachsse aus den 60er Jahren zugunsten eines neuen Büro- und Geschäftshauses begründen die Beteiligten einhellig damit, dass es „einer Öffnung des Areals im Wege“ stehe und „rein optisch den städtebaulichen Gesamteindruck des Gevierts eher negativ“ beeinflusse; die Investoren berufen sich darüber hinaus auf die Rechtssicherheit ihrer Investitionsentscheidung.
Angesichts der Abgeschiedenheit des Areals trotz seiner zentralen Lage, der desolaten städtebaulichen Situation gegenüber der geplanten Haupterschließung am Färbergraben und der Konkurrenz im Umfeld ist die angestrebte Öffnung ein schwieriges Unterfangen: Auch die nahe gelegene Ladenpassage von Hilmer & Sattler zwischen Kaufinger und Fürstenfelder Straße aus den 90er Jahren bietet derzeit wenig Reiz, der Platz an der Sattlerstraße noch weniger. Hier beschränken sich die Gestaltungsmöglichkeiten der Stadt bis 2010 auf eine Bepflanzung mit zwei Baumreihen.
Warenhäuser arbeiten am liebsten mit Kunstlicht und geschlossenen Fassaden; dennoch soll das neue Büro- und Geschäftshaus am Färbergraben als Entree für das gesamte Areal funktionieren. Meili und Peter formulieren dieses Dilemma aufrichtig und schlagen als Lösung eine zweischalige, „medial bespielte“ Fassade vor, deren äußere Hülle aus farbigem Glas besteht. Im Zentrum des städtebaulichen Entwurfs steht dagegen ein Altbau – das ehemalige Druckereigebäude im Inneren des 11.000 m² großen Areals, an das die Architekten die einzelnen Baukörper anlagern. Auf diese Weise entstehen fünf Höfe und eine schlüssige interne Wegeführung. Die Ladenpassage entwickelt sich aus einer Abfolge von geschossweise gegenläufig schwingenden Fassadenbändern, die sich unterschiedlich hoch aufweiten.
Was zunächst unspektakulär biomorph wirkt, erfährt seine Berechtigung im Vergleich mit den Arbeiten der anderen Teilnehmer, denen Christiane Thalgott bescheinigte, „heftig an der Fassade zum Färbergraben gearbeitet zu haben“. Besonders die Entwürfe der Münchner Büros ließen Zweifel aufkommen, ob die Verfasser jemals am Färbergraben waren: Auer Weber schlugen einen weiteren Seitenflügel des Hauptbahnhofs vor, Hilmer & Sattler und Albrecht eine Neuauflage der Berliner Leibnitz-Kolonnaden, Lauber Architekten eine großmaßstäblich zerklüftete Steinfassade. Dem Entwurf von Kiessler Partner, die als einzige den „Schreiberbau“ erhalten und umnutzen wollten, bescheinigte die Jury unter Carl Fingerhuth „erhebliche funktionale Mängel“. Die Arbeit von Marcel Meili und Markus Peter ist nun Grundlage der weiteren Planung, der Baubeginn ist 2008.
Labor für visionäre Architektur LAVA in der Architekturgalerie München
Die Architekturgalerie München wird dreißig. Sie startet das Jubiläumsjahr mit einer Ausstellung von LAVA (Akronym für: Laboratory for Visionary Architecture). Im Architektur-Blog bustler hieß es dazu: „It’s a Long Way to the Top (If You Wanna Rock ‘n’ Roll). And it’s a long way from vision to reality for young architects, too.“ Das fasst die Ausstellung recht gut. Denn LAVA zeigen größtenteils Ideen, die sie über Jahre erforscht und entwickelt haben (häufig in Kooperation mit dem Fraunhofer Institut IAO), bevor daraus konkrete Projekte hervorgingen. Chris Bosse, Tobias Wallisser und Alexander Rieck gründeten Lava im Jahr 2007; das Büro hat heute Filialen in Stuttgart, Berlin, Sydney und Shanghai. In der Ausstellung dabei sind: das im Wesentlichen aus einem schwarzen Korridor und einer weißen Lounge bestehende Philips Lighting Application Centre in Eindhoven (2014), ein parametrisches Fassadensystem für Hochhäuser in Hanghzou, Verwaltungszentrum und Laborgebäude der King Abdealziz City for Science and Technology in Riad, Jugendherbergen in Berchtesgaden (2011) und Bayreuth (ab 2015) und das in Ausführung befindliche Product and Application Development Center von SIPCHEM in Al Khobar/Saudi-Arabien: ein Bürogebäude, dessen Fassade aus einer nichtrepetitiven Struktur von CNC-gefrästen Styroporblöcken besteht –
„wahrscheinlich das dickste Wärmedämmverbundsystem der Welt“, so die Architekten. Dargestellt werden die Projekte auf einer umlaufenden, raumhohen Fototapete. So veranschaulicht die Ausstellung die Position von LAVA zwischen Mensch, Natur und Technik, Virtual Reality und Realisierung sowie ihre Arbeitsweise, Zukunftstechnologien des Bauens mit Organisationsprinzipien aus der Natur zu verbinden. Sie wirft aber auch Fragen auf: Worin besteht die Innovation einer Styroporfassade? Wie problematisch sind autoritäre Regime als Bauherren? Was können Tabula-rasa-Projekte wie Masdar City – der Plan für die Plaza im Zentrum der Stadt in den Sanddünen von Abu Dhabi stammt von LAVA – zum Thema Nachhaltigkeit beitragen? Ob LAVA als Visionäre in die Fußstapfen von Haus-Rucker-Co treten, die 1985 als erste in der Architekturgalerie München ausstellten, wird sich wohl erst zum 50. Jubiläum der Galerie sagen lassen.
Jochen Paul
VISIONAREALITY LAVA – Laboratory for Visionary Architecture Architekturgalerie München, Türkenstraße 30, 80333 München www.architekturgalerie-muenchen.de Bis 14. Februar
Die Münchner Hild und K Architekten erhielten nach einem von der Stadt geforderten Fassadenwettbewerb den Auftrag, die fast 300 Meter lange Gebäudefront eines Neubaus zu gestalten. Die eigenwillige Plastizität an der Tegernseer Landstraße lädt zum genaueren Hinschauen ein. Dies war auch der Wunsch des Bauherrn.
40 Jahre lang musste München-Neuperlach, eine der größten Satellitenstädte Deutschlands, ohne kulturelles und soziales Zentrum auskommen. Jetzt soll das vier Hektar große Areal endlich bebaut werden.
Neuperlach liegt am südöstlichen Stadtrand von München. Bei der Grundsteinlegung 1967 galt die für 80.000 Menschen angelegte Satellitenstadt als größte Neusiedlung der BRD. Von Beginn an aber litt Neuperlach unter einem Geburtsmakel, dem fehlenden Zentrum mit kulturellen und sozialen Einrichtun¬gen. Zwar war 1967 ein Wettbewerb für die Mitte veranstaltet worden, der Siegerentwurf der Berliner Architekten Lauter–Zinner wurde jedoch nie realisiert. Denn mit Münchens Bewerbung für die Olympi¬schen Spiele von 1972 hatten sich die planerischen und finanziellen Prioritäten der Landeshauptstadt in deren Zentrum verschoben. 1991 stufte eine Studie über die Gestaltung der Straßen und Plätze in München den Hanns-Seidel-Platz aufgrund seiner Mängel in der Dimension, Gestaltung, Zugänglichkeit und räumlichen Fassung als dringend verbesserungswürdig ein, doch trotz der Ansiedlung von Unternehmen und Behörden wie Siemens, der Allianz und der Landesversicherungs¬an¬stalt Oberbayern hat sich die städtebauliche Situation in Neuperlach bis heute nicht verbessert: Auf dem 3,9 Hektar großen, allseitig durch breite Straßen von der Umgebung getrennten Areal stehen zwar das Provisorium eines Bürgerhau¬ses und ein Postamt, der größte Teil der Fläche aber wird zum Parken und ab und an für Flohmärkte genutzt. Im vergangenen Jahr nun hat der Stadtrat endlich über die Eckdaten für eine Bebauung des Hanns-Seidel-Platzes abgestimmt und beschlossen, den Flächennutzungsplan zu ändern, einen Bebauungsplan aufzustellen und über einen Ideenwettbewerb Konzepte für die Neuplanung zu finden. Die Auslobung hat die RREEF Investment, ein Immobilien-Geschäfts¬bereich der Deutschen Bank, in Vertretung der beiden anderen Grundstückseigentümer auf dem Areal(städtisches Liegenschaftsamt und Lorac Investment) in Abstimmung mit dem Planungsamt der Stadt ausgelobt – eine Praxis, wie sie seit einigen Jahren in München üblich ist.
Achtzehn aus dem Bewerbungsverfahren ausgewählte und zehn hinzugeladene Arbeitsgemeinschaften aus Architekten bzw. Stadtplanern und Landschaftsarchitekten sollten den Platz mit einem Bürgerzentrum, Gewerbe-, Einzelhandels-, Gastronomie- und Wohnflächen sowie privaten und öffentlichen Grünflächen beplanen. Dabei sollten sie nicht nur die in einer Hochhausstudie 1996 erarbeiteten Leitlinien zu Raumstruktur und Stadtbild berücksichtigen, in denen Neuperlach als potentieller Standort für Hochhäuser gesehen wird – mit Ferdinand Stracke war einer der Verfasser Vorsitzender des Preisge¬richts –, sondern auch die schrittweise Möglichkeit zur Realisierung der Planung im Auge behalten.
Einstimmig entschied sich die Jury für den Vorschlag von Spacial Solutions und Brandhoff & Voss Landschaftsarchitekten aus München. Ihr Ensemble wird im Nordwesten vom Marktplatz und von einem Hochhaus akzentuiert, es öffnet sich zum angrenzen¬den Einkaufszentrum hin mit L-förmigen Baukörpern und bildet im Innenhof eine kammartige Struktur. Die Jury hob die „große Selbstverständlichkeit“ hervor, mit der die stadträumlichen Bezüge der Umgebung aufgenommen, die funktionalen Anforderungen erfüllt werden und eine „Insel des Schutzes“ mit hoher Aufenthaltsqualität geschaffen werde. Auch die Verbindung zum U-Bahn-Zwischengeschoss über eine Freitreppe und die natürlich belichteten, in Abweichung zur Auslobung unterirdisch angeordneten Verkaufsflächen wurde positiv bewertet.
Inwiefern der Siegerentwurf dazu beitragen kann, die seit 40 Jahren andauernde städtebauliche Malaise in Neuperlach zu beheben, hängt maßgeblich davon ab, wie viel von ihm in den Bebauungsplan einfließt, den die Stadt erarbeiten will. Die nötige Präg¬nanz und Großmaßstäblichkeit hätte er jedenfalls.
Fakten
Architekten Spacial Solutions, München; Brandhoff & Voss Landschaftsarchitekten, München; Kemper Steiner & Partner Architekten u. Stadtplaner, Bochum; wbp Landschaftsarchitekten Ingenieure, Bochum; Steidle Architekten, München; t 17 Landschaftsarchitekten, München; Kiessler + Partner, München; Burger Landschaftsarchitekten, München
Denkmalschutz für das Verwaltungsgebäude des Süddeutschen Verlags
Text: Paul, Jochen, München
Kaum hatte das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege Anfang Mai verlauten lassen, man sei zu der Erkenntnis gekommen, der 1963-70 von Herbert Groethuysen, Gernot Sachsse und Detlef Schreiber errichtete Stahlbetonskelettbau am Färbergraben (Heft 32.06) sei nun doch "ein Baudenkmal gemäß Art. 1, Abs. 2 des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes", bezeichnete der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude es als "skandalös, das Gebäude ausgerechnet dann auf die Denkmalliste zu setzen, wenn bereits alle Entscheidungen gefallen sind: Wie soll sich Denkmalschutz so als erfolgreich erweisen?"
Fakten
Architekten Schreiber, Detlef, MünchenGroethuysen, Herbert, MünchenSachsse, Gernot, München
Die Stadt München möchte in den kommenden zehn Jahren 70 Kitas bauen. Der Wettbewerb sollte ihr ein kleveres und kostengünstiges Konzept liefern.
Mit mehr als 380 Kindertagesstätten ist München Deutschlands größter kommunaler Träger derartiger städtischer Einrichtungen. Um diesem Ruf auch künftig gerecht zu werden und die kürzlich angehobenen staatlichen Vorgaben für den Versorgungs-grad einzuhalten, plant die Stadt in den kommenden zehn Jahren 70 neue Betreuungseinrichtungen. Und die Einwohnerzahl wächst. 5000 zusätzliche Plätze werden gebraucht, hat man im Rathaus errechnet, in erster Linie dort, wo neue Wohnquartiere entstehen, aber auch in Stadtbezirken mit bisher schlechter Versorgung. Grund genug, sich darüber Gedanken zu machen, wie der Planungs- und Kostenaufwand minimiert werden kann.
Für die zwölf Arbeitsgemeinschaften aus Architekten und Bauingenieuren, die für den einstufigen Realisierungswettbewerb ausgewählt worden waren, kam es also darauf an, flexibel nutzbare Systembauten zu entwickeln, die bei unterschiedlichem Raumprogramm einen hohen Vorfertigungsgrad ermöglichen. Denn je nach örtlicher Situation kombiniert man in München Kindertagesstätten mit Krippe oder Hort zu sogenannten Kooperationseinrichtungen. Die Tagesstätten sollten zudem als Baureihe geplant werden, damit man sie als Paket an einen Generalunternehmer vergeben kann. Dass das System vielerorts anwendbar ist, sollten die Teilnehmer für fünf konkrete Standorte in Trudering-Riem, Hadern und Ramersdorf-Perlach nachweisen. Für die an der Bajuwarenstraße 1 in Trudering-Riem geplante Einrichtung sollten sie detaillierte Planungen vorlegen.
Die Jury vergab keinen ersten Preis, dafür aber einen Sonderpreis für die Arbeit von Schulz & Schulz aus Leipzig, mit Seeberger Friedl und Partner, München, die sie wegen ihrer „deutlichen Abweichung von den Bauräumen und der fehlenden Dachbegrünung“ zunächst aus dem normalen Verfahren ausschließen musste. Ebenso wie den zweiten Preis der Planungsgemeinschaft Zwischenräume, München, mit Neuner Graf, München empfahl sie die Arbeit der Leipziger jedoch zur weiteren Bearbeitung.
Schulz & Schulz schlagen einen kompakten Baukörper aus Brettstapelelementen vor. Die massive Holzbauweise mit tragenden Wandscheiben und Deckenplatten, die mit Aufbeton versehenen sind, ist nicht nur die energetisch günstigste, sondern aufgrund des hohen Vorfertigungsgrads mit marktgängigen Bauteilen auch die preiswerteste Lösung des Wettbewerbs. Vor allem überzeugte die Jury die Fassade, die kommende Architekturturmoden überdauern wird, und die Kinder den Wandel der Jahreszeiten erleben lässt. Anstelle der in der Auslobung geforderten Dachbegrünung umhüllen die Architekten das Haus mit einem Spalier, das als Rankhilfe für Wein, Feuerdorn oder Pfeifenwinde dient.
Die Planungsgemeinschaft Zwischenräume aus München entschied sich für eine Holzrahmenbauweise mit typisierten Grundrissen. Eine markante Eingangshalle und gartenseitige Fluchtbalkone, die zugleich als feststehender Sonnenschutz fungieren, charakterisieren den Entwurf. Die Jury zeigte sich von der städtebaulichen Lösung, der klaren Gebäudestruktur und der Wirtschaftlichkeit beeindruckt, bemängelte jedoch, dass die Fassade nur bedingt die Nutzung widerspiegele.
Die Fertigstellung auf den fünf Wettbewerbsgrundstücken ist für Ende 2008 vorgesehen; darüberhinaus gibt es derzeit keine konkrete Planung. Sicherlich wird man erst dann wissen, ob standardisierte Typen für den Bau von Kindertageseinrichtungen wirklich von Vorteil sind.
In London ist der Kampf der 10.500 Athleten aus 205 Nationen um Gold, Silber und Bronze in 31 Disziplinen gerade zu Ende gegangen. Die Olympischen Spiele – allerdings die vor 40 Jahren – sind Thema zweier Ausstellungen in München und Ulm.
Dass die Wettkämpfe 1972 in München trotz der tragischen Ereignisse vom 5. September, als elf Mitglieder der israelischen Mannschaft von einer palästinensischen Terrorgruppe getötet wurden, als „Regenbogenspiele“ in Erinnerung geblieben sind, ist wohl auch das Verdienst von Otl Aicher (1912–1991). Als Gestaltungsbeauftragter der Spiele verantwortete er mit seinem rund vierzigköpfigen Team das visuelle Erscheinungsbild. Dem widmen sich derzeit zwei Präsentationen, im Ulmer HfG-Archiv und in der Aspekte Galerie der Münchner Volkshochschule.
Aicher und seinem Auftraggeber Willi Daume, dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees, ging es vor allem darum, das Bild der Spiele von 1936 in Berlin zu revidieren und die Bundesrepublik als demokratisches, weltoffenes Land zu präsentieren. Die Spiele sollten so „süddeutsch“ und, im Sinne des Nationalstaats, so unpolitisch wie möglich werden. Eine von Aichers ersten Entscheidungen – noch vor der Auftragserteilung: der Verzicht auf alle Farben, die gemeinhin weltlicher oder kirchlicher Macht zugeordnet werden. Das gesamte Spektrum von Rot über Purpur bis Violett fiel dieser Maßgabe zum Opfer. Aicher entwickelte das Design der Spiele als ein System variabler, einander verwandter Elemente, die da waren: sechs Farben (Hellblau, Hellgrün, Gelb, Dunkelblau, Dunkelgrün, Orange), Adrian Frutigers „Univers“ von 1957 in unterschiedlichen Schriftschnitten und -graden, olympisches Emblem, Logo der Münchner Spiele (der Strahlenkranz mit überlagerter Spirale stammt von Coordt von Mannstein) und Piktogramme. Diese Elemente ließen sich in einer Vielzahl von Varianten kombinieren: für die offiziellen Berichte des Organisationskomitees, für Eintrittskarten, Broschüren und Programmhefte bis hin zur Signaletik in den öffentlichen Verkehrsmitteln; selbst die Uniformen des Personals der Olympischen Spiele folgten dem Corporate Design.
So durchgestaltet das Design der Spiele auch war, das Zusammenspiel seiner Elemente wirkte nie streng, sondern ließ eine Atmosphäre der Leichtigkeit und Heiterkeit entstehen. Die ist auch 40 Jahre später in den beiden Ausstellungen noch zu spüren. Die Plakate der olympischen Sportarten, vermitteln sie ebenso wie das Maskottchen, der Dackel „Waldi“; Fotos von Karsten de Riese, damals offizieller Olympiafotograf, dokumentieren den Arbeitsprozess.
Was bleibt von 1972? Für München waren die Spiele ein Katalysator der Stadtentwicklung und der Infrastruktur, ERCO vertreibt die Piktogramme in über 900 Varianten. Und, wie Gerhard Matzig vor einiger Zeit in der Süddeutschen Zeitung schrieb: Die XX. Olympischen Spiele erzählen im Gegensatz zur gescheiterten Bewerbung für 2018 bis heute „von einem Land, dessen Dynamik, Technikbegeisterung und Zukunftslust wie mit den Händen zu greifen war“.
Seit ungefähr 15 Jahren wird das Thema „Rekonstruktion oder Neubau“ zunehmend kontrovers und emotional aufgeladen diskutiert – und das nicht nur in Fachkreisen, sondern ebenso in der Öffentlichkeit.
Was die Debatten um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses (siehe auch „betrifft“, Seite 8), des Potsdamer Stadtschlosses, des Braunschweiger Residenzschlosses, der Dresdner Frauenkirche, des Frankfurter Römerbergs und des Aachener Katschhofs überdecken, ist zweierlei: Erstens, dass auch in Deutschland viele nach ihrer Zerstörung wiederhergestellte Baudenkmäler geringes bis gar kein Konfliktpotential beinhalteten – Beispiele dafür sind die Würzburger und die Münchner Residenz ebenso wie der Goldene Saal des Augsburger Rathauses; zweitens, dass die Rekonstruktion verlorener Bauten – aus verschiedenen Gründen und mit wechselndem Verständnis von „Wiederherstellung“ – seit der Antike selbstverständlicher Teil der Baugeschichte ist.
Um die Diskussion zu ent-emotionalisieren und „das umstrittene Thema Rekonstruktion aus oftmals fixierten Denkmustern in einen offenen, differenzierten Diskurs zu führen“, bettet die von Winfried Nerdinger mit Markus Eisen und Hilde Strobl kuratierte Ausstellung des Architekturmuseums der TU München die Positionen und Argumente nicht nur in den jeweiligen historischen Kontext ein, sondern entwickelt anhand von ca. 150 Fallbeispielen, illustriert mit Modellen, Gemälden, Plänen, Fotos und Animationen, ein motivisches Raster. Beweggründe für die Rekonstruktion eines Gebäudes können religiöse Kontinuität, die Erinnerung an Personen und Ereignisse oder nationale, politische und dynastische Überlegungen ebenso sein wie die Wiedergewinnung der Bilder und Symbole einer Stadt, die Wiederherstellung der Einheit eines Ensembles oder touristische und kommerzielle Überlegungen; in den von einem zyklischen Zeitverständnis geprägten Kulturen Asiens kommen noch die rituelle Wiederholung und die Rekonstruktion des „authentischen Geistes“ hinzu.
Wahrzeichen, Erinnerungsorte, kulturelle Selbstverteidigung
Konkret bedeutet dies, dass der auf Weisung von Venedigs Bürgermeister Filippo Grimani erfolgten Wiederrichtung des 1902 eingestürzten Campanile von San Marco („com’era, dov’era“ – wie er war, wo er war) gänzlich andere Motive zugrunde lagen als beispielsweise der Wiederherstellung des Frankfurter Goethehauses oder der Warschauer Altstadt und des Königsschlosses. Im ersten Fall ging es um die Wiedererrichtung eines Wahrzeichens, bei der – seinerzeit höchst umstrittenen – Rekonstruktion von Goethes Geburtshaus darum, der Nachwelt „die Möglichkeit zu schaffen, die Atmosphäre von Goethes Jugend nachzuerleben“ und einen verlorenen „Erinnerungsort“ (Jan Assmann) wiederherzustellen. Im dritten Fall dagegen war der Beweggrund, der von den nationalsozialistischen Besatzern beabsichtigten Auslöschung Polens als Staat und als Kulturnation einen Akt „kultureller Selbstverteidigung“ entgegenzusetzen. In Deutschland hingegen führten das Trauma der Kriegsschuld und der Siegeszug des „International Style“ nach 1945 zunächst zu einem Bruch mit der Tradition.
Wie sich anhand der Rheinburgen zeigen lässt, sind wiedererrichtete Bauten aber auch in der Lage, ihre ursprüngliche „Rekonstruktions-Botschaft“ abzulegen und neue Bedeutungen anzunehmen. Idealtypisch rekonstruiert im 19. Jahrhundert, um die Rolle des Rheins als Deutschlands Grenzfluss zu unterstreichen und „die Botschaft vom wiedererstrahlenden Glanz eines Vaterlandes, dessen Geschichte bis ins Mittelalter zurückreichte“ (Winfried Speitkamp), zu verkünden, verwandelten sich die Burgen nach dem Zweiten Weltkrieg in unpolitische, dafür aber attraktive und günstig gelegene Ausflugsziele. Das mussten sie wohl auch: Stünden sie immer noch für wilhelminischen Größenwahn und Annexionsgeist, wären sie vermutlich längst geschleift worden.
An den genannten und zahlreichen weiteren Beispielen belegt die Ausstellung eindrücklich, dass sich (Bau-)Geschichte nicht auf eine Chronologie des Fortschritts reduzieren lässt, sondern, wie Winfried Nerdinger sagt, „ein Geflecht von Innovation und Bewahrung, von Umbruch und Survival, von Avantgarde und Revival“ ist.
Auch 20 Jahre nachdem in Zlín die Schuhproduktion eingestellt wurde, genießt die ehemalige „corporate city“ von Tomáš Bat'a in Südmähren die ungebrochene Aufmerksamkeit von Architekten, Stadtplanern und Soziologen (Heft 26). Die aktuelle Ausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne „Zlín – Modellstadt der Moderne“ (im Frühjahr war sie unter dem Titel „The Bat'a Phenomenon“ in der Nationalgalerie in Prag zu sehen) thematisiert neben Architektur und Stadtplanung vor allem die Aspekte Freizeit, Kultur und Leben in Zlín. Was ein wohlwollender Betrachter auf den ersten Blick für eine gemütliche Gartenstadt halten konnte, war eine Fabrikstadt, deren Bewohner von Tomáš Bat'a „dem System eines fast totalitären Kapitalismus“ unterworfen wurden, wie Winfried Nerdinger im Katalog schreibt. Nach seiner Wahl zum Bürgermeister 1923 baute Bat'a, der seine Heimatstadt nun nicht nur ökonomisch und – über einen Verlag und eine Druckerei – publizistisch, sondern auch politisch kontrollierte, Zlín systematisch zu einem Labor für kollektives Arbeiten und individuelles Wohnen aus, das ebenso konsequent wie komplett im Dienst der Effizienz- und Ertragssteigerung seiner Schuhproduktion stand. Das Besondere am Modell Zlín ist
der Ausstellung zufolge der Anspruch, mit dem ein Unternehmer das gesamte Leben einer Stadt der Erfüllung seiner Interessen unterordnete. Die Arbeiter der Bat'a-Fabriken wohnten in Bat'a-Siedlungen, kauften im Bat'a-Warenhaus ein, besuchten das Bat'a-Großkino und waren im Bat'aSportverein, die Kinder spielten in Bat'a-Kindergärten, die Jugend wurde in eigenen Schulen für die Produktion erzogen, die Kranken im Bat'a-Hospital behandelt. All diese Einrichtungen stiftete Tomáš Bat'a weniger aus Philanthropie denn aus Gewinnstreben, weshalb deren Engagement die Schwelle des abnehmenden Grenznutzen nie überschritt: Die Bedeutung der Wohnungsfrage war seit Essen-Margarethenhöhe bekannt, am Warenhaus verdiente Bat'a, Fitness und Krankenpflege steigerten die Arbeitsleistung. Und der Korpsgeist der Nachwuchselite, der „Thomasianer“, war dem einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt durchaus ebenbürtig. Effizienz, Kontrolle, Überwachung Die Architektur war dabei ebenso Zeichen der Macht des Patriarchen wie Ausdruck größtmöglicher Rationalität: Nicht nur die Fabrik- und Lagerhallen, auch die Gemeinschaftsbauten basierten auf ein und demselben Raster, damit die konzerneigene Bauabteilung ihre Effizienz miteinander vergleichen konnte. In der Ausstellung illustrieren dies neben großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien, Plakaten und Plänen vor allem die Slogans, die das Leben in Zlín prägten: „Der Tag hat 86.400 Sekunden“, „Geschäft ist Dienst am Volk“, „In der Schnelligkeit liegt die Kraft“ oder „Verspätung ist verlorene Zeit“. Ein weiteres Kapitel widmet sich der wechselvollen Beziehung von Le Corbusier zu Jan Antonín Bat'a, der nach dem Tod des Gründers die Geschäfte führte. Le Corbusier war 1935 für die Teilnahme an einer Wettbewerbsjury nach Zlín gekommen. Er sah dort seine städtebaulichen Grundsätze einer nach Funktionen getrennten Stadt verwirklicht – und in Bat'a fortan den idealen Bauherrn, dem er bis 1937 mehrere Vorschläge unterbreitete, so einen Plan zur Entwicklung von Zlín-Bat'ov unter Verwendung vorgefertigter Häuser, einen Plan für die französische Niederlassung Hellocourt/Bataville, einen Entwurf zur Typisierung der Bat'a-Boutiquen und einen für den Bat'a-Pavillon auf der Pariser Weltausstellung. Dass keines der Projekte verwirklicht wurde, lag nicht nur an der Unbeirrbarkeit, mit der Le Corbusier den Wünschen der Auftraggeber vorgriff, sondern auch an dem Unvermögen seitens Bat'a, die Unabhängigkeit des Architekten zu akzeptieren: Für die rein betriebswirtschaftlich kalkulierende Firma war Le Corbusier zu unkalkulierbar, waren seine Projekte zu teuer, und die Idee, die Belegschaften von Zlín-Bat'ov und Bataville als „kollektive Masse“ (Monika Platzer) in Turmhochhäusern unterzubringen, bedeutete gar eine Bedrohung für das bei Bat'a praktizierte System der Kontrolle und Überwachung.
AUSSTELLUNG 100 Jahre Deutscher Werkbund
Die Münchner Jubiläumsausstellung spannt den Bogen der letzten 100 Jahre von Peter Behrens’ Arbeiten für AEG und Siemens bis hin zu den jüngeren Themen wie Jugendkultur, Konsumgesellschaft und unsichtbares Design. So gelingt es ihr, die vielen bekannten und weniger bekannten Mosaiksteinchen aus der Geschichte des Deutschen Werkbundes in einen übergeordneten Zusammenhang zu stellen. München im Oktober 1907: Zwölf Künstler und Architekten – Peter Behrens, Theodor Fischer, Josef Hoffmann, Wilhelm Kreis, Max Laeuger, Adelbert Niemeyer, Joseph Maria Olbrich, Bruno Paul, Richard Riemerschmid, Jakob Julius Scharvogel, Paul Schultze-Naumburg und Fritz Schumacher – eint das Unbehagen am „unwürdigen Stiltreiben“ des Historismus und am Niveau des öffentlichen Geschmacks und des Kunstgewerbes in Deutschland. Gemeinsam mit Unternehme(r)n wie dem Besteckfabrikanten Peter Bruckmann, dem Kunstverleger Eugen Diederichs, den Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst Dresden, den Vereinigten Werkstätten für Kunst und Handwerk München, den Saalecker und den Wiener Werkstätten heben sie
den Deutschen Werkbund aus der Taufe. Vorderstes Ziel der neu gegründeten Vereinigung ist die „Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk, durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu allen einschlägigen Fragen“. Zwar hapert es mit der geschlossenen Stellungnahme gelegentlich: Bereits 1914 gilt der Werkbund als „Vereinigung der intimsten Feinde“. Aber mit dem von Hermann Muthesius formulierten Anspruch, die Lebenswelt „vom Sofakissen bis zum Städtebau“ zu gestalten, der Forderung nach Dauerhaftigkeit und Materialgerechtigkeit und den didaktischen Mitteln – den Werkbund-Ausstellungen, Karl Ernst Osthaus’ „Deutschem Museum für Kunst in Handel und Gewerbe“ und den Warenbüchern – wird der Werkbund aus dem Stand die Avantgarde seiner Zeit. Ihm verdanken wir die Corporate Identity und das Industrial Design ebenso wie das Bauhaus und die HfG Ulm. Hatten sich Hermann Muthesius und Henry van de Velde 1914 noch einen erbitterten Streit über die Vor- und Nachteile der Typisierung geliefert, war die Frage vier Jahre später eindeutig zugunsten von ornamentloser Form und Standardisierung entschieden – die wirtschaftliche Not der Nachkriegsjahre ließ gar keine andere Wahl. Dennoch oder gerade deswegen waren die Jahre zwischen 1920 und 1933 die eigentliche Blütezeit des Werkbunds: Ausstellungen wie „Die Form“ (1924) und „Film und Foto“ (1929) wa ren Meilensteine einer durch Industrie und Technik geprägten neuen Formensprache, und die Stuttgarter Weißenhof-Siedlung zählt – wenn auch seinerzeit innerhalb des Werkbunds heftig umstritten – bis heute zu den berühmtesten Beispielen moderner Architektur. Weitere Werkbund-Siedlungen entstanden in Brünn (1928), Breslau (1929), Prag, Neubühl und Wien (1932). In den Folgejahren konnte sich der Werkbund trotz nationalsozialistischer Gleichschaltung bis zu seiner Auflösung 1938 eine gewisse Unabhängigkeit bewahren, und „dank“ des von den Nazis gegründeten „Amtes für Schönheit der Arbeit“ erfuhren die Entwürfe von Wilhelm Wagenfeld und Hans Gretsch jene massenhafte Verbreitung in Schulen, Werkskantinen und Gefolgschaftshäusern, die sich die Gestalter immer erhofft hatten. Als Exportartikel spielte der Werkbund jedoch keine Rolle mehr, und die Innovationsführerschaft ging an das Amerika des Streamline Design verloren. Als erste Nachkriegsausstellung zeigte der – neu gegründete und nun föderalistisch organisierte – Werkbund 1949 in Köln „neues wohnen und deutsche architektur seit 1945“; mit der Übernahme der von Max Bill zusammengestellten Schau „Die gute Form“ gelang es zwar, an die Kontinuität der 20er Jahre anzuknüpfen, die entscheidenden Diskussionen fanden jedoch zunehmend außerhalb des Werkbunds statt oder wurden nicht mehr mit ihm in Verbindung gebracht. Einmal noch, 1959, hätte der Werkbund das Ruder herumreißen können: Die Tagung in Marl über „Die große Landzerstörung“ formulierte lange vor dem Club of Rome und den Grünen die Themen Zersiedelung und Umweltzerstörung. Der damit zwangs läufig verbundenen Politisierung wollten viele Mitglieder jedoch nicht folgen. Letzten Endes, das verdeutlicht die Ausstellung, ist es die Tragik des Werkbunds, an der Größe der Aufgabe, an der mangelnden Unterstützung der Industrie und an den eigenen kommunikativen Fehlleistungen gescheitert zu sein. In den Folgejahren kam der Werkbund dem von Theodor Fischer 1918 formulierten Ziel, „sich selbst und seine Arbeit überflüssig zu machen“, vorzeitig so nahe, dass Julius Poseners 1986 gestellte Frage, ob „wir den Werkbund noch brauchen“, keinesfalls rhetorisch zu verstehen war. Heute besteht seine Daseinsberechtigung durchaus fort: Was 1907 Wirtschaftsimperialismus hieß, nennt sich heute globaler Wettbewerb.
Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne | Barer Straße 29, 80799 München | ▸ www.architekturmuseum. de | bis 26. August, Di–So 10–18, Do 10– 20 Uhr